Transformation des Wohnbaubestands
Kurzsymposium: Transformation des Wohnbaubestands im Dialog zwischen Praxis und Forschung
Am 20. Jänner 2025 fand das Kurzsymposium „Transformation des Wohnbaubestands im Dialog zwischen Praxis und Forschung“ an der TU Wien mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern der TU Wien, GBV-Mitgliedern und Expertinnen und Experten aus der Praxis statt, um über das Thema der Transformation des Wohnbaubestands zu diskutieren.

Notwendige Dekarbonisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Klimawandelanpassung stellen die Frage nach der Transformation des Wohnbaubestands in ganz Österreich. Technologische Lösungen gibt es zwar bereits zahlreiche aber oft weniger beachtet werden in diesem Zusammenhang die Umsetzbarkeit und die soziale Nachhaltigkeit, wenn es um den Erhalt der Gebäudestrukturen und des sozialen Gefüges von Nachbarschaften geht. Es stellen sich hierbei eine Reihe von Fragen, wie nicht nur ökologisch, sondern auch sozial nachhaltig sogenanntes Retrofitting durchgeführt werden kann. Wie können Leistbarkeit, rechtliche Rahmenbedingungen und Alltagsbedürfnisse von Bewohnerinnen und Bewohner mit den Ansprüchen der sozial-ökologischen Transformation zusammengedacht werden? Welche historischen Beispiele im Umgang mit Bestand lassen sich heranziehen, wenn es darum geht, Bewohnerinnen und Bewohner und ihre Bedürfnisse als auch Routinen von Hausverwaltungen in den Prozessen zu berücksichtigen? Eine breite Auseinandersetzung mit Fragen des Wandels von baulichem Bestand an der Schnittstelle von sozial-ökologischer Transformation und neuem gemeinnützigen und kommunalen Wohnen stehen bei diesem Symposium ebenso im Zentrum, wie sich wandelnde Anforderungen und Erwartungen an das Wohnen für die Wohn- und Lebensqualität.
Kurzinputs und Q&A
Historische Analyse der Rolle der gemeinnützigen Bauvereinigungen in der Stadterneuerung
Katharina Kirsch-Soriano da Silva (Caritas Stadtteilarbeit & TU Wien) & Judith M. Lehner (Research Center for New Social Housing, TU Wien)
Der Vortrag von Katharina Kirsch-Soriano da Silva und Judith M. Lehner zeigt die Rolle des gemeinnützigen und kommunalen Wohnbausektors in der sanften Stadterneuerung auf. Der Fokus liegt auf den Veränderungen im Umgang mit städtischen Beständen, die sich von der reinen Neubautätigkeit hin zu einer aktiven Mitgestaltung der Stadterneuerung entwickelt haben. Seit Beginn unterstützen gemeinnützige Bauvereinigungen die Sanfte Stadterneuerung einerseits in der Rolle aus Auftragnehmer:innen von Gebietsbetreuungen, andererseits als in der Sanierung und integrieren diese in Stadtentwicklung tätige Akteur:innen. Diese Herangehensweise zeigt, wie Stadterneuerung und Stadterweiterung miteinander verbunden werden können.
Ein wichtiger Aspekt der Sanften Stadterneuerung ist die soziale Dimension von Sanierungsprojekten. Hierbei wird großer Wert auf die Einbeziehung der Bewohner:innen gelegt, um deren Akzeptanz für Veränderungen zu fördern und langfristige Vertrauensverhältnisse aufzubauen. Beispiele wie Spittelberg, das Sanierungsprogramm für Gemeindebauten und der Kauerhof zeigen, wie durch gezielte Sanierungsmaßnahmen städtische Quartiere revitalisiert und gleichzeitig soziale Strukturen gestärkt werden. Dabei wird auch die Notwendigkeit betont, neue, sozial gerechte und nachhaltige Lösungen zu entwickeln, um den Herausforderungen des rasanten Stadtwachstums, der sozial-ökologischen Transformation und der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes zu begegnen.
Publikation: Sanfte Stadterneuerung Revisited. Wiener Handlungsstrategien für den Bestand
Chancen und Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation im gemeinnützigen Sektor
Gerald Kössl (GBV)
Der Vortrag von Gerald Kössl stellt den Status Quo des gemeinnützigen Wohnungsbestandes hinsichtlich Energieeffizienz und Dekarbonisierung dar und fügt eine Suffizienz-Perspektive hinzu. Gemeinnützige Bauvereinigungen stehen vergleichsweise gut da, was den thermischen Standard der verwalteten Gebäude betrifft. Allerdings steht auch der gemeinnützige Wohnungsbestand vor der Herausforderung die verbleibenden fossil-beheizten Gebäude auf nachhaltige Energiesysteme umzustellen. Die sozial-ökologische Transformation besteht aber nicht nur in einer Steigerung der (Energie)-Effizienz, sondern wirft auch Fragen des Ressourcenverbrauchs und und somit die Frage der Suffizienz auf. Welche Wohnungsgrößen sind ausreichend? Wie kann man flächenschonend bauen? Welche Siedlungsstrukturen reduzieren verkehrsbedingte CO2-Emissionen? Aus einer Suffizienz-Perspektive reicht es demnach nicht die Effizienz der Energiesysteme (technisch) zu erhöhen, sondern den Energie- und Ressourcenverbrauch insgesamt zu reduzieren.
Neue soziale Ungleichheiten der Wohnversorgung in Zeiten des Klimawandels?
Michael Friesenecker (Research Center for New Social Housing, TU Wien)
Im Vortrag von Michael Friesenecker wird im Rahmen des Forschungsprojekts ReHousIn die Thematik der neuen sozialen Ungleichheiten im Wohnbereich behandelt, die durch das Zusammenspiel von sozialer Wohnbaupolitik und Klimapolitik im Gebäudesektor entstehen. Besonders im Kontext der gegenwärtigen Polykrise – wie der globalen Finanzkrise, der COVID-19-Pandemie, der Energiekrise und der Klimakrise – wird deutlich, wie vulnerabel verschiedene Bevölkerungsgruppen sind, wenn es um den Zugang zu Wohnraum geht. ReHousIn zielt darauf ab, aufzuzeigen welche Policies sowohl inklusive als auch ökologisch nachhaltige Wohnmöglichkeiten fördern. Das Projekt untersucht die Auswirkungen ökologisch verstandener Interventionen (Retrofitting, Begrünung und Verdichtung) und die (Re)Produktion von Wohnungsungleichheiten in neun europäischen Ländern anhand von 27 Fallstudien, die verschiedene regionale Kontexte abdecken (u.a. für Österreich in Wien und Oberösterreich). Ein besonderer Fokus liegt auf den sozialen Ungleichheiten, die durch klimabedingte Maßnahmen entstehen, die von Hauseigentümer:innen auf Mieter:innen übertragen werden. Das Projekt untersucht, wie diese finanziellen Belastungen bestehende Ungleichheiten verstärken und welche Auswirkungen die sogenannte Polykrise auf die Wohnsituation hat.
Neben der Untersuchung von Fallstudien fördert ReHousIn die Einbindung von politischen Entscheidungsträger:innen, Forscher:innen und anderen Akteur:innen durch Workshops und Webinare, um gemeinsam effektive Strategien zu entwickeln. Das Projekt liefert kontextsensitives Wissen über die Auswirkungen aktueller Krisen auf Wohnungsungleichheiten, insbesondere in Bezug auf vulnerable Gruppen, und erarbeitet politische Empfehlungen zur Förderung von leistbarem, ökologisch nachhaltigem Wohnraum.
Quelle: https://rehousin.eu/
Rechtliche Steuerung der Gebäudetransformation – Status quo und offene Fragen
Dragana Damjanovic (Forschungsbereich Recht, TU Wien)
Dragana Damjanovic beleuchtet in ihrem Vortrag die Defizite der derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen zur Gebäudebestands-Transformation, die vor allem auf Neubauten fokussiert sind und keine nachhaltige Transformation von Bestandsgebäuden ermöglichen. Sie kritisiert, dass die bestehenden Regelwerke zu starr sind und der Verwaltung die nötigen Instrumente fehlen, um notwendige Umbaumaßnahmen zu forcieren. Zudem scheitern verpflichtende Maßnahmen wie Sanierungspflichten aufgrund fehlender politischer Mehrheiten. Damjanovic plädiert für einen Mittelweg zwischen starren Vorgaben und flexiblen Ansätzen, der konkrete, langfristige Vorgaben umfasst und gleichzeitig gesellschaftliche Ziele wie bezahlbares Wohnen und Mieterschutz berücksichtigt. Ein partizipativer Ansatz, der alle relevanten Interessen einbezieht, wird als notwendig erachtet, um eine nachhaltige und gerechte Transformation zu gewährleisten. Sie schlägt vor, weiche Steuerungsinstrumente wie Förderungen und Beratungen mit ökonomischen Anreizen zu kombinieren, um eine stärkere Motivation für die Gebäudebestands-Transformation zu schaffen.

Poster Session zu Studierendenarbeiten mit:
Andreas Hofer (TU Wien, Forschungsbereich Städtebau), Andrea Überbacher (MIA) und Wolfgang Gerlich (PlanSinn) von der Forschungsinitiative „Retrofit Wien“: Entwurfsprojekte und Forschungsergebnisse „Retrofit Gemeindebau“ mit Marktplatz-Diskussion.
Die Lehrenden stellen die Initiative „Retrofit Wien“ vor, die von einer transdisziplinären ARGE bestehend aus dem Forschungsbereich Städtebau (TU Wien), dem Büro PlanSinn und Andrea Überbacher (MIA GmbH) entwickelt wurde. „Retrofit Wien“ erarbeitet seit 2019 im Rahmen von akademischen Projekten der forschungsgeleiteten Lehre und im Bereich der angewandten Forschung an unmittelbaren Vorschlägen anhand von konkreten Gemeindebaustandorten. Diese Zwischenergebnisse beinhalten richtungsweisende Anregungen zur architektonischen, ökologischen und sozialen Transformation für Wohnquartiere der Nachkriegsmoderne in Wien. Die beim Symposium ausgestellten studentischen Arbeiten können auch auf der Projektwebseite eingesehen werden.
Quelle: https://retrofit.bestewebsite.at/
Diskussionsrunde
Im Anschluss an die Vorträge und die Postersession fand eine Diskussionsrunde mit Stefan Haertl (GBV Schönere Zukunft), dem anwesenden Fachpublikum und den Vortragenden statt. Dabei wurde intensiv erörtert, wie Leistbarkeit, rechtliche Rahmenbedingungen und Alltagsbedürfnisse der Bewohner:innen sowie die Vorgaben und Instrumnte der gemeinnützigen Bauträger mit den Anforderungen der sozial-ökologischen Transformation in Einklang gebracht werden können bzw. sich wo derzeitige Hürden befinden. Historische Beispiele zum Umgang mit dem baulichen Bestand, insbesondere unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bewohner:innen sowie der Routinen von Hausverwaltungen, wurden als wertvolle Orientierungspunkte herangezogen. Die Diskussion verdeutlichte die zentrale Rolle einer integrativen Planung, die soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte gleichermaßen einbezieht, sowie die Wichtigkeit einer engen Kooperation zwischen Forschung und Praxis, um neue Perspektiven für gemeinnütziges und kommunales Wohnen zu entwickeln und zu kommunizieren.
Im Frühjahr erscheinen Ausschnitte der Vorträge auf dem ZUKUNFT STADT podcast der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien zu aktuellen Fragestellungen der Stadtentwicklung und gebauten Umwelt.
Quelle: https://futurelab.tuwien.ac.at/podcast
Eine Veranstaltung des Research Center for New Social Housing & GBV
Organisation: Judith M. Lehner, Michale Friesenecker & Gerald Kössl