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Europäische Abgeordnete in Wien auf der Suche nach Antworten auf die Wohnungskrise in Europa

Ende Juli begaben sich sechs Abgeordnete des Europaparlaments, die dem Sonderausschuss zur Wohnraumkrise in Europa angehören, auf offizielle Mission nach Wien: Sie sollten sich aus einer Stadt, die für ihren sozialen Wohnbau bekannt ist, Anregungen holen für die Lösung von Wohnungsmarktproblemen in Europa und für die Erstellung des europäischen Plans für erschwinglichen Wohnraum. Denn die sinkende Leistbarkeit des Wohnens für breite Bevölkerungsgruppen, insbesondere in Städten, ist längst nicht mehr nur ein soziales Problem, sondern hemmt die Wettbewerbsfähigkeit Europas (vgl. Newsletter-Artikel von Juni 2025). Vorsitzende des Sonderausschusses und Delegationsleiterin ist die Italienerin Irene Tinagli, die Funktion als Koordinator hat der österreichische EU-Abgeordnete Andreas Schieder inne. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft hatte mehrfache Gelegenheiten zum Austausch mit der EU-Delegation:


Zu Beginn der dreitägigen Studienreise stand eine Besichtigung des Nordbahnviertels auf dem Programm. Andreas Reittinger (ÖVW) gab einen Überblick über das Stadtentwicklungsprojekt und präsentierte die mit EIB-Mitteln kofinanzierten ÖVW-Projekte in Worten, Bildern, Plänen und Kalkulationstabellen. Beim Rundgang zeigten sich der Vizepräsident der EIB, Ioannis Tsakiris sowie die EU-ParlamentarierInnen beeindruckt von der hohen Bau- und Wohnqualität bei gleichzeitig guter Erschwinglichkeit der Wohnungen und sahen das europäische Geld dort gut investiert.  
 

Im Besuchsprogramm folgten Gespräche mit Vizekanzler und Wohnbauminister Andreas Babler, der Wiener Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal sowie Exkursionen in die Seestadt Aspern und zu einem Frauenwohnprojekt.

Vor der abschließenden Pressekonferenz, die hier nachgeschaut werden kann, war der dritte Tag einem Treffen mit Akteuren der Wohnungswirtschaft gewidmet. Zu dem Austausch waren VertreterInnen von VÖWG und GBV, mehrerer gemeinnütziger Bauvereinigungen, der Stadt Wien, des Wohnfonds Wien, der AK sowie der WKÖ und der gewerblichen Wohnungswirtschaft eingeladen. Schon in ihrer Eingangsrede verwies die Vorsitzende des Sonderausschusses auf das besondere Interesse der EU-Delegation am „dritten Weg“ in der österreichischen Wohnungswirtschaft, wie sie die gemeinnützigen Bauträger als eigenständige, nicht staatliche Alternative zum profitorientierten Markt bezeichnete.  

In den Statements der GBV-VertreterInnen (Stickler, Washietl, Rießland, Gutheil) wurde daher die Rolle der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft als stabilisierender Wirtschaftsfaktor in Zeiten großer konjunktureller Schwankungen hervorgehoben. Nicht nur die BewohnerInnen selbst profitieren vom gemeinnützigen Wohnbau, sondern aufgrund des preisdämpfenden und konjunkturbelebenden Effekts nütze dieser auch privaten MieterInnen und der Volkswirtschaft. Ein breiter, inklusiver sozialer Wohnbausektor, der auch Menschen mit mittlerem Einkommen als Zielgruppe hat, trage maßgeblich zur sozialen Mischung bei und biete zusätzlich Raum für die vulnerabelsten Gruppen, z.B. für Wohnungslose im Rahmen des Housing First Ansatzes. 

Ebenso komme gemeinnützigen Wohnbauträgern nicht nur in Städten, sondern auch in weniger dicht besiedelten Gebieten eine wichtige Rolle zu – sind sie doch dort vielfach die Grundversorger im Mietbereich, können der Abwanderung entgegenwirken und Ortskerne revitalisieren. 

Die VÖWG/GBV-Delegation betonte auch die Notwendigkeit eines nachhaltigen Finanzierungsmodells für leistbaren Wohnbau, wie dies im WGG-Kostendeckungsprinzip und der österreichischen Wohnbauförderung angelegt ist. Zuschüsse oder Förderkredite für Bauvorhaben, welche mit klar definierten Konditionalitäten verbunden sind, etwa die verpflichtende Weiterreichung des Preisvorteils an die Bewohner, sind nicht als Unternehmensförderungen (Beihilfen) zu qualifizieren, da sie zielgerichtet den wohnungssuchenden Haushalten zugutekommen. 

Es wurden auch aktuelle Herausforderungen der Branche thematisiert, beispielsweise der Einbruch der Baukonjunktur, stark gestiegene Baupreise, lange Verfahren und restriktive Bauordnungen. Aus Sicht der österreichischen Stakeholder eigne sich das EU-Beihilfenrecht sehr unzureichend zur Minderung der Wohnbaukrise in Europa. Am Beispiel der Wiener Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“ wurde schließlich die Bedeutung bodenpolitischer Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs zu Grundstücken für den geförderten Wohnbau hervorgehoben.

Schließlich kam die Frage eines strukturellen Leerstands im anlageorientierten Neubau sowie die Regulierung der Kurzzeitvermietung zur Sprache. Die Stadt Wien forderte dabei klare, EU-weite Definitionen, mehr Verantwortung der Plattformen und eine bessere Datenerfassung. Abschließend betonten viele Teilnehmenden die Wichtigkeit europäischer Koordination, effizienter Förder- und Finanzierungsstrukturen und fairer steuerlicher Rahmenbedingungen.

Die EU-Abgeordneten stellten häufig (Nach-)fragen, es entwickelte sich ein lebhafter und von großem Interesse geprägter Austausch, dem ein schriftliches und mündliches Follow-up folgen wird.


Autorin: Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald (mit Dank an Heidrun Maier, Jeremias Jobst und Pia Zekay, VÖWG, für die ausgezeichnete Vor- und Nachbereitung des Gesprächstermins sowie an ÖVW und Erste Bank für Fotomaterial und ergänzende Informationen)

Weiterführende Informationen:
Presseaussendung des Europäischen Parlaments: https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20250714IPR29638/housing-special-committee-to-discuss-public-housing-policies-in-vienna

Pressekonferenz des Sonderkommittees zur Wohnraumkrise in der EU zum Abschluss der Wien-Mission: Press conference of the special committee on the housing crisis after its mission to Vienna - Multimedia Centre
VÖWG-GBV Positionspapier: Strengthening EU Housing Policy: Lessons from Austria’s Limited-Profit Housing Model and Vienna’s Subsidy Conditionality and Zoning https://www.gbv.at/Extras/AktuelleMeldungen/2024/EU%20Positionspapier%20V%C3%96WG%20und%20GBV/