Dynamische Fähigkeiten von GBVs
Die kürzlich abgeschlossene Masterarbeit untersuchte, welche organisationalen Fähigkeiten für die erfolgreiche Umsetzung nachhaltiger Bauprojekte im gemeinnützigen Wohnbausektor entscheidend sind. Ausgangspunkt ist die wachsende Bedeutung ökologischer, sozialer und regulatorischer Anforderungen, die Bauträgerorganisationen vor komplexe Herausforderungen stellen. Im Zentrum steht die Frage, wie gemeinnützige Bauträger ihre Strukturen und Prozesse so gestalten können, dass Nachhaltigkeit langfristig strategisch verankert, operativ umgesetzt und kulturell getragen wird.
Theoretisch stützt sich die Arbeit auf die dynamische ressourcenbasierte Theorie (Dynamic Capabilities Theory), die organisationale Fähigkeiten in die Kategorien Sensing, Seizing und Transforming einteilt. Diese Kompetenzen ermöglichen es Organisationen, Umweltveränderungen frühzeitig zu antizipieren, Chancen aktiv zu nutzen und ihre Strukturen kontinuierlich anzupassen. Der Bauwirtschaft kommt dabei eine besondere Rolle zu: Sie steht im Spannungsfeld zwischen ökologisch nachhaltigem Bauen und der Sicherstellung leistbaren Wohnraums.
Die empirische Basis bilden zehn leitfadengestützte Expert*inneninterviews mit Vertreter*innen in Führungspositionen gemeinnütziger Bauträgerorganisationen. Ziel war es, die in der Praxis relevanten dynamischen Fähigkeiten zu identifizieren und in Bezug auf theoretische Konzepte einzuordnen. Die Aufteilung der in Summe 244 kategorisierten Interviewpassagen anhand der Oberkategorien ist in der untenstehende Grafik ersichtlich. Nach Analyse vorliegender Grafik zeigt sich, dass die zehn befragten Expert*innen in nahezu gleichem Ausmaß Aussagen getätigt haben, die sich jeweils in diese drei Hauptkategorien einordnen lassen. Am meisten wurden dennoch Sensing- (39%), gefolgt von Seizing- (33%) und Transforming-Fähigkeiten (30%) angesprochen.
Die Ergebnisse zeigen, dass gemeinnützige Bauträger über eine Vielzahl dynamischer Fähigkeiten verfügen:
- Im Bereich Sensing wird deutlich, dass Unternehmen technologische Innovationen (z. B. neue Dämmstoffe, Photovoltaik, kreislauffähige Baustoffe), regulatorische Veränderungen und gesellschaftliche Trends frühzeitig erkennen und in ihre Strategien integrieren. Gleichzeitig bestehen Zielkonflikte zwischen ökologischen Ambitionen, finanzieller Tragfähigkeit und Kundenerwartungen.
- Bei den Seizing-Fähigkeiten wird die Fähigkeit sichtbar, erkannte Chancen in konkrete Maßnahmen zu überführen. Dies gelingt durch interdisziplinäre Zusammenarbeit, kreative Finanzierungsstrategien, die Nutzung von Förderprogrammen sowie den gezielten Einsatz kreislaufwirtschaftlicher Konzepte. Auch der Wille zur Umsetzung – trotz Widerständen, Mehrkosten oder Unsicherheiten – wurde als entscheidender Erfolgsfaktor identifiziert.
- Die Transforming-Fähigkeiten betreffen die langfristige Verankerung von Nachhaltigkeit in Kultur, Strukturen und Strategien. Hierzu zählen die Bewusstseinsbildung und Unternehmenskultur, kontinuierliches organisationales Lernen, der Einsatz von Nachhaltigkeitsberichterstattung und Kennzahlenanalyse sowie die aktive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Transformationen. Besonders die kulturelle Dimension – Werte, Haltung und Vorbildfunktion von Führungskräften – erwies sich als zentral.
Im Vergleich zur Theorie bestätigt die Arbeit die Relevanz der drei Kategorien dynamischer Fähigkeiten, erweitert diese jedoch um spezifische Aspekte gemeinnütziger Bauträger. Während theoretische Modelle häufig auf Wettbewerbsvorteile und Marktpositionierung abzielen, steht in der Praxis des gemeinnützigen Wohnbaus die gemeinwohlorientierte Verantwortung im Vordergrund. Nachhaltigkeit wird hier nicht nur als strategisches Mittel, sondern als normativer Rahmen verstanden, der technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Dimensionen integriert.
Aus den Ergebnissen lassen sich mehrere Implikationen ableiten: Gemeinnützige Bauträger sollten ihre dynamischen Fähigkeiten systematisch weiterentwickeln, etwa durch institutionalisierte Lernprozesse, verstärkte interorganisationale Kooperation und die konsequente Nutzung von Monitoring- und Reporting-Systemen. Gleichzeitig zeigen die Interviews Wünsche nach einfacheren regulatorischen Rahmenbedingungen, gezielter politischer Unterstützung und stärkerer gesellschaftlicher Sensibilisierung. Diese Faktoren können die Umsetzung nachhaltiger Bauprojekte erheblich erleichtern.
Die ganze Arbeit finden Sie hier.