Besorgniserregende Wohnungsmarktentwicklung in Europa - Österreich im Spitzenfeld bei sozialer Wohnbauleistung
Bericht zur Wohnungssituation in Europa
„The State of Housing in the EU 2017“, auf Deutsch „Zur Lage des Wohnungswesens in der EU 2017“ heißt der jüngst erschienene Bericht von „Housing Europe“, der europäischen Dachorganisation für gemeinnützige, genossenschaftliche und öffentliche Wohnbauträger. In dieser Publikation wird ein differenziertes, zugleich aber sehr kritisches Bild der aktuellen Wohnungssituation in Europa gezeichnet. „Wachstum ist auf unseren Kontinent zurückgekehrt, aber wir sollten nicht vergessen, dass dieses Wachstum viele zurücklässt“. (Housing Europe 2017, S.10)
Mit dem Wirtschaftswachstum steigen europaweit die Immobilienpreise; die Preissteigerungsrate 2016 ist die höchste seit 2007; die Einkommensentwicklung in Europa hält hingegen nicht mit dieser Entwicklung Schritt. Im gleichen Atemzug verstärken sich Ungleichheiten zwischen den Einkommensbeziehern und zwischen den Regionen: Prosperierende Städte bieten Arbeitsplätze und sind Migrationsmagneten, sie sind zumeist gekennzeichnet durch Wohnungsknappheit und für viele Menschen zu hohe Wohnungskosten. Gleichzeitig kämpfen ländliche, aber auch manche städtische Regionen mit Abwanderung, Wohnungsleerstand, Arbeitsplatzmangel und Überalterung. Ungleichheit und Exklusion verstärken sich gegenseitig: Mit der Ausnahme Finnlands verzeichnen alle Länder Europas einen Anstieg der Zahl der Wohnungslosen. In den Städten konzentrieren sich jedoch nicht nur die Problemlagen, sondern auch die innovativen Lösungsansätze: So sind zukunftsweisende Maßnahmen, etwa im Bereich von Bodenpolitik oder Leerstandsmobilisierung, zumeist von Entscheidungsträgern auf kommunaler, seltener auf nationaler Ebene verabschiedet worden.
Politische Verantwortliche haben aus der Krise zu wenig gelernt
Anstelle die Destabilisierung mehrerer Wohnungsmärkte (besonders stark in Irland, Spanien, Griechenland, Italien und Portugal) als Trendwende zu Investitionen in leistbaren, nicht-spekulativen Wohnbau zu nützen, hätten die meisten Länder sich für strengere Zugangsregeln und eine Kürzung der öffentlichen Mittel für den sozialen Wohnbau entschieden. Der soziale Sektor gerät dabei mehrfach unter Druck: Wartelisten werden länger, Mietausfälle häufiger und die Finanzierung für Neubau und Sanierung schwieriger. Als Ausnahmen werden explizit Österreich und Frankreich genannt, deren Wohnungspolitiken sich als „resilienter“ erwiesen haben. Der Bericht „The State of Housing in the EU 2017” ist in englischer Sprache verfügbar. Er umfasst neben einer profunden Darstellung der wichtigsten wohnungswirtschaftlichen Trends ein Landesprofil für jedes Mitgliedsland von Housing Europe: Housing Europe – The State of Housing in the EU 2017.
Eine ergänzende Analyse des Verbands auf Basis der von Housing Europe zusammengestellten Daten zeigt, dass Österreich zwar keineswegs eine „Insel der Seligen“ ist, bei einigen der zentralen Leistungsindikatoren dennoch im europäischen Spitzenfeld anzutreffen ist: Bei der Wohnbauintensität liegt Österreich ex aequo mit Frankreich an der Spitze der untersuchten Länder. Pro 1.000 Einwohner wird jährlich die Errichtung von 5,4 Wohnungen (ohne Zubauten zu bestehenden Gebäuden) bewilligt. Zum Vergleich: Deutschland kommt nur auf 2,7 Bewilligungen je 1.000 EW, Italien sogar nur auf 1,3. Aber auch bei der Wohnbauleistung durch öffentliche oder gemeinnützige Organisationen ist Österreich an vorderster Front anzufinden: Etwa 35% der fertiggestellten Wohnungen in Österreich sind dem sozialen Wohnbau im weiteren Sinn zuzurechnen, knapp gefolgt von den Niederlanden (34,5%) und Frankreich (33,5%). Die Angaben beziehen sich auf das aktuellste verfügbare Jahr (in Frankreich nicht auf Fertigstellungen, sondern auf Finanzierungszusicherungen bezogen).
Quelle: EUROSTAT, nationale Statistiken, eigene Auswertung und Darstellung (GBV, 2017). Kartografie unterstützt von Bing. ©DSAT for MSFT, GeoNames, Microsoft, Navteq, Wikipedia
Quelle: Housing Europe, The State of Housing in the EU 2017 (Country profiles), Eurostat, eigene Auswertung und Darstellung (GBV, 2017)
Angesichts des überdurchschnittlichen Bevölkerungszuwachses erscheint die österreichische Wohnbaurate, insbesondere in Bezug auf das preisgünstige Segment, immer noch zu niedrig (näheres dazu hier). Dennoch legt der internationale Vergleich nahe, dass ein breites Angebot an öffentlichen und gemeinnützigen Mietwohnungen einen Grundpfeiler für die nachhaltige Wohnversorgung aller Bevölkerungsgruppen darstellt. Detaillierter wurden die stabilisierenden und destabilisierenden Faktoren auf den Wohnungsmärkten in einer GBV-Studie aus 2011 untersucht.
Weiterführende Informationen:
„Stabilisierende und destabilisierende Faktoren auf den Wohnungsmärkten der EU–14“ - Studie von Robert Wieser (2011)
Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald