Zinswende im Euroraum? Ja, aber anders als gedacht…
Noch zum Jahreswechsel schien die Welt erstmals seit der Finanzkrise wieder in gewohnte Bahnen zurückzukehren. Die Konjunktur brummte und die Inflation war langsam, aber doch im Aufwärtstrend. Die Normalisierung der Geldpolitik nahm Formen an. Die US-Notenbank Fed hatte das Wertpapierkaufprogramm längst eingestellt, sogar begonnen die Bilanzsumme zu reduzieren und erhöhte im Dezember zum insgesamt neunten Mal seit 2015 den Leitzinssatz. Die europäische Zentralbank EZB beendete ihr Wertpapierkaufprogramm mit Jahresende und stellte für die zweite Jahreshälfte 2019 die Zinswende in Aussicht.
Doch seitdem hat sich die Konjunktur weltweit wieder abgekühlt, belastet durch politische Spannungen und schwelende Handelskonflikte. Wachsende Rezessionsängste und der erneute Tauchgang der Inflation - im Euroraum sank die Teuerung im Juli auf 1,0 Prozent – haben die Inflationserwartungen an den Märkten einbrechen lassen. Die Notenbanken haben zurück auf Krisenmodus gewechselt. Die Normalisierung der Geldpolitik wurde abgesagt. Die Fed hat im August erstmals seit über zehn Jahren eine Senkung des Leitzinssatzes vorgenommen. Die Konjunktur- und Inflationssorgen und das Risiko, dass die gestartete Lockerung in den USA zu einer ungewollten Stärkung des Euros gegenüber dem US-Dollar beitragen könnte, hat auch die EZB auf den Plan gerufen. Noch bevor Mario Draghi Ende Oktober 2019 die Staffel an die neue Präsidentin Christine Lagarde weiterreichen wird, dürfte die EZB die Geldpolitik neu ausrichten.
Tatsächlich dürfte es dabei auch zu einer Zinswende kommen, allerdings ganz anders als zum Jahreswechsel gedacht. Während hinsichtlich des Reposatzes der EZB, der seit 2016 bei null liegt, kaum Handlungsspielraum besteht, steht keine Erhöhung, sondern eine baldige Senkung des Einlagenzinssatzes bevor, was sich auch im kurzfristigen Geldmarktsatz, dem Euribor, niederschlagen wird. Zudem dürfte mit einer Verbesserung der Konditionen der angekündigten zielgerichteten langfristigen Finanzierungsinstrumente, den sogenannten TLTROs, und einer Wiederbelebung des Wertpapierkaufprogramms die geldpolitischen Zügel im Euroraum zusätzlich gelockert werden. Konkret erwarte ich, dass die EZB im Herbst den Einlagenzinssatz auf minus 0,5 Prozent (von derzeit -0,4 Prozent) senken wird. Um die negativen Auswirkungen für die Banken zu verringern, wäre dabei eine betragsmäßige Staffelung des Zinssatzes denkbar. Zudem könnte die EZB, um die Ausnutzung zu fördern, eine Verbesserung der Konditionen der für September angekündigten TLTROs vornehmen. Darüber hinaus ist im Rahmen des Wertpapierkaufprogramms spätestens mit Beginn 2020 wieder mit der Aufnahme von Nettokäufen zu rechnen. Um den Handlungsspielraum zu erweitern, wäre dazu wohl eine Anhebung des zulässigen Maximalanteils der EZB an den Schulden eines Staates von derzeit 33 Prozent nötig.
Zumindest bis zur nächsten EZB-Sitzung am 12. September kann über die konkreten Maßnahmen der EZB noch spekuliert werden, aber der Weg ist vorgezeichnet. Die Zinswende in die noch zum Jahreswechsel angedachte Richtung - also nach oben – ist vorläufig vom Tisch. Der Tiefflug der Zinsen wird auf absehbare Zeit nicht beendet.
Stefan Bruckbauer, Chefökonom UniCredit Bank Austria
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