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Was hat Europa mit Wohnungspolitik zu tun?

In wenigen Tagen findet die Europawahl statt. Anlass genug, sich die Frage zu stellen, welche Rolle das Wohnungswesen auf europäischer Ebene spielt. Darf die europäische Union in diesem Bereich überhaupt mitreden und was kann diesbezüglich auf europäischer Ebene gestaltet werden?

Keine unmittelbare Kompetenz für Wohnungspolitik…

Ein Blick auf die Verträge der Europäischen Union (EUV und AEUV) zeigt zunächst, dass das „Wohnungswesen“ nicht zu den Zuständigkeiten der Europäischen Union zählt, weder zu den ausschließlichen (Art. 3 AEUV, z.B. Zollunion), noch zu den mit den Mitgliedstaaten geteilten (Art. 4, z.B. Verbraucherschutz) Zuständigkeiten. Es gibt daher weder einen europäischen Kommissar noch eine Generaldirektion für das (soziale) Wohnungswesen. Auch eine europäische Wohnbauförderung oder Wohnbeihilfe, ein europäisches Miet- oder Baurecht wird man vergeblich suchen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip der EU verbleibt die Regulierung und Förderung des Wohnungswesens grundsätzlich auf nationalstaatlicher Ebene. Kein Thema also für Europa?

… aber viele Bereiche, die Einfluss auf das Wohnungswesen haben

Keineswegs! Tatsächlich gibt es zahlreiche Überschneidungsbereiche von EU-Recht mit dem Wohnungswesen. Viele Materien, die auf EU-Ebene entschieden werden, nehmen direkten oder indirekten Einfluss auf das Wohnbaugeschehen eines Landes. Um nur die wichtigsten zu nennen: 

Technik und Ökologie

In technischen und ökologischen Belangen gibt u.a. die EU-Gebäuderichtlinie wesentliche Rahmenbedingungen vor, die in nationales Recht umzusetzen sind und die sowohl Qualitäten, als auch Kosten des Wohnbaus beeinflussen. So müssen etwa ab 2021 alle Gebäude im Niedrigstenergiestandard (Nearly Zero Energy Buildings) errichtet werden, wobei die konkrete Definition dieses Standards auf nationaler Ebene erfolgt. In Österreich wird das zur Folge haben, dass sich die Energieeffizienzstandards von Objekten, die mit Wohnbauförderung errichtet werden (wo es bisher schon starke Anreize zu energieeffizienter Bauweise gab) und solchen, die „nur“ nach Bauordnungs-Mindeststandards gebaut wurden, annähern werden. Weiters soll die E-Mobilität vorangetrieben werden. Dazu ist in der Novelle 2018 der EU-Gebäuderichtlinie festgelegt, dass in Neubauten und bei umfangreichen Sanierungen (unter bestimmten Voraussetzungen) alle KfZ-Stellplätze in Wohngebäuden mit Leitungsinfrastruktur („Leerverrohrung“) für E-Mobilität auszustatten sind. Die österreichischen Bundesländer haben bis März 2020 Zeit, dies in ihre Bauordnungen einzuarbeiten.  

Beihilfen

Im wirtschaftlichen Bereich ist insbesondere das europäische Wettbewerbs- und Beihilfenrecht zu nennen. Die Minimierung von staatlichen Förderungen, die als potenziell wettbewerbsverzerrend angesehen werden, ist ein wesentliches Anliegen der EU. Beihilfen sind grundsätzlich verboten, es existieren jedoch Ausnahmen. Diese können sektoral (z.B. Umweltförderungen) oder formal begründet sein (z.B. Förderungen unter einer Bagatellgrenze). Erleichterte Bestimmungen gelten weiters „für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind“ (Art. 106 AEUV), da hier eine öffentliche Kompensationsleistung für ein Versagen des Markts anerkannt wird. Unter diesem Aspekt sind die österreichische Wohnbauförderung und allenfalls die KÖSt-Befreiung der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen zu sehen. 

Finanzierung

Schließlich werden auch Europäische Finanzmittel in bestimmten Fällen zur Ko-Finanzierung des Wohnbaus eingesetzt, sofern der Markt die entsprechende Finanzierung nicht bereitstellt. Die Städte Graz und Wien haben bereits Mittel der Europäischen Investitionsbank für Infrastruktur und Gebäudesanierungen verwendet; zuletzt hat das Land Niederösterreich EIB-Gelder für den geförderten Wohnbau akquiriert.

Europäische Interessensvertretung

Ein weiterer Berührungspunkt zur EU ist die Interessensvertretung. Housing Europe, der Europäische Dachverband der öffentlichen, genossenschaftlichen und sozialen Wohnbauträger, nimmt die Interessensvertretung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft auf europäischer Ebene wahr. Auch der GBV ist Mitglied bei Housing Europe und vertritt dort die Anliegen der österreichischen GBVs. Housing Europe vernetzt nicht nur die Mitgliedsverbände untereinander, sondern bringt auch deren Anliegen in den EU-Institutionen zu Gehör. 

www.housingeurope.eu 

Europäische Bürgerinitiative „Housing for all“

Schließlich gibt es mit der „Europäischen Bürgerinitiative“ ein Instrument der direkten Demokratie in der EU. Aktuell widmet sich eine in Österreich initiierte Europäische Bürgerinitiative mit dem Titel „Housing for all“ der Verbesserung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für leistbares Wohnen in ganz Europa. Die Forderungen der Bürgerinitiative und deren rechtliche Anknüpfungspunkte in den EU-Verträgen lauten wie folgt: 

  • die Erleichterung des Zugangs für alle zu leistbarem und sozialem Wohnbau (bezieht sich auf das Wettbewerbsrecht, insbesondere die Definition der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in Art 106 AEUV)
  • keine Anwendung der Maastricht-Kriterien auf öffentliche Investitionen in leistbaren Wohnbau (betrifft den Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU, Art. 126 AEUV)
  • besserer Zugang zu EU-Finanzmitteln für gemeinnützige und nachhaltige Wohnbauträger (u.a. aus dem Titel der wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Kohäsion, Art. 175, 177 und 178 AEUV)
  • soziale und wettbewerbsgerechte Regeln für Kurzzeitvermietungen (mit Bezug auf die Binnenmarktkompetenz der EU, Art. 114 AEUV) sowie
  • die statistische Erfassung des Wohnbedarfs in Europa (betrifft die Unionsstatistik, Art. 338 AEUV).

Auf der Webseite www.housingforall.eu kann man sich näher informieren und es besteht die Möglichkeit, die Initiative zu unterstützen. 

Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald, wohnwirtschaftliches Referat des GBV