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Wohnungsnot in Deutschland

In Berlin wurde dieser Tage auf einem „Wohngipfel“ unter Beteiligung der Bundesregierung und Vertretern der Lokalpolitik sowie der Wohnungswirtschaft ein Maßnahmenpaket zur Ankurbelung des Wohnbaus beschlossen – darunter eine Erhöhung der Bundeszuschüsse für die Sozialwohnungsbau-Programme der Länder und steuerliche Anreize für Investoren in den Mietwohnungsbau.
Anlass für diese Maßnahmen ist die anhaltend geringe Wohnbauleistung, die nach Schätzung von Experten zu einem Defizit von rund einer Million Wohnungen geführt hat. Zur Deckung dieses Defizits und des laufenden Zusatzbedarfs wäre eine Wohnbauleistung von etwa 400.000 Wohnungen pro Jahre erforderlich – die aktuellen Fertigstellungsziffern mit zuletzt 270.000 neu errichteten Wohnungen liegen aber weit unter diesem Level. Unter der angespannten Situation leiden v.a. jüngere und sozial schwächere Personen bzw. Haushalte in den städtischen Ballungsräumen. Die Mieten steigen dort stark.

Immer weniger leistbare Wohnungen
Dazu kommt, dass die Menge der Wohnungen mit begrenzten Mieten immer geringer wird. In Deutschland wurde nämlich im Jahre 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft, somit sind anders als bei uns die Mieten in geförderten Wohnungen nur auf einen begrenzten Zeitraum gebunden und können danach auf Marktniveau angehoben werden. Besonders stark ausgeprägt ist in Deutschland daher das Defizit an leistbaren Wohnungen. Hier sprechen Experten und Mietervertreter von einem jährlichen Neubaubedarf in Höhe von 80.000 – 140.000 Wohnungen – errichtet werden zuletzt aber lediglich rd. 25.000 geförderte Mietwohnungen. Damit liegt die Leistung in dem fast genau 10-mal so großem Deutschland (bezogen auf Einwohner/Haushalte/Wohnungen) nur knapp über dem Niveau in Österreich!

Geänderte Bevölkerungsentwicklung
Zu diesen Entwicklungen geführt hat ein Bündel von Ursachen. Die lange Stagnationsphase mit Bevölkerungsverlusten in den ersten zehn Jahren nach der Jahrtausendwende hat zunächst trotz sinkender Neubautätigkeit einer Wohnungsknappheit entgegengewirkt sowie die Mietendynamik gedämpft. Die Entwicklung in Deutschland war damit jener in Österreich mit einem starken Zustrom aus dem EU-Raum (in einigen Jahren mit Deutscher Zuwanderung an der Spitze) diametral entgegengesetzt. Nach der Wirtschaftskrise hat sich die Situation in Deutschland deutlich erholt, etwa seit dem Jahre 2011 gibt es daher dort neben einem stärkeren Wirtschaftswachstum wieder eine lebhafte Zuwanderung und eine zunehmende Mobilität. Der Wohnungsbau hält da nicht mit.

Zu wenig Neubau
Ein weiterer Grund ist, dass sich in den Stagnationsjahren viele Wohnbauträger aus dem Neubaugeschehen zurückgezogen haben. Ebenso wird von Stilllegungen von Betrieben in der Baubranche berichtet. Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit hat diesen Trend verstärkt, die ehemaligen gemeinnützigen Träger haben ihre Betriebe auf die Verwaltung und Sanierung ihrer Bestände reduziert. Dazu kommt, dass sich die Bautätigkeit auf kaufkräftigere Nachfrager v.a. im Eigentumssegment beschränkt. Von hoher Bedeutung sind auch Art und Intensität der Wohnbauförderung. Diese hat sich in Deutschland seit den 1990er-Jahren immer mehr von der Objektförderung auf steuerliche Maßnahmen (Abschreibungsmodelle) verlagert. Diese haben aber nachteilige Effekte: Sie werden eher von Investorentypen genutzt, die kurz- und mittelfristige Steuervorteile lukrieren wollen, aber an einer kontinuierlichen Produktion von Wohnraum und einer langfristigen Bewirtschaftung wenig interessiert sind. Aus Sicht der öffentlichen Budgets bedeuten derartige Modelle zunächst geringe Einnahmenausfälle, langfristig kumulieren sich diese aber. Die Steuerausfälle erreichten in den Jahren 2003/2004 mit mehr als 11 Milliarden Euro einen Höhepunkt. 

Aktuelles Maßnahmenpaket
Hier sollen nun die jüngst beschlossenen Maßnahmen einen Umschwung bringen. Ob diese zur Beendigung der Wohnbaumisere ausreichen ist aber mehr als fraglich:

  • Es fehlen v.a. im leistbaren Segment die entsprechenden Träger. Die „klassische“ Wohnbauförderung in Deutschland – die jetzt forciert werden soll – ist mit der „Sozialen Wohnraumförderung“ auf die unteren Einkommensschichten beschränkt; nur etwa 15 – 30% der Haushalte zählen dort zum begünstigten Kreis. Sozialer Wohnbau wird derzeit den Bauträgern mehr oder weniger über Bauträgerverträge auferlegt, von diesen daher bestenfalls als notwendiges Übel erachtet und so schnell wie möglich an kommunale Träger veräußert. 
  • Geförderte Objekte fallen aber nach wie vor nach 20 bis 25 Jahren aus der Bindung heraus und werden damit der Versorgung von sozial Schwächeren entzogen.
  • Die steuerlichen Anreizmodelle (verstärkte Abschreibung in den ersten Jahren) sehen eine Verpflichtung zur Vermietung – ohne Mietenbegrenzung – nur für einen Zeitraum von 10 Jahren vor. Diese Modelle sind damit und aus oben genannten Gründen noch weniger für die Schaffung eines nachhaltigen Angebots an leistbarem Wohnraum geeignet.
  • Insgesamt sind die in Aussicht genommenen Ausgaben zur Forcierung des Wohnbaus im Volumen wohl zu gering (5 Milliarden Euro für den Sozialen Wohnungsbau, 4 Milliarden geschätzter Steuerentgang, beides in Summe für den Zeitraum bis Ende 2021).

Benchmark Österreich
Wesentlich günstiger wäre dem gegenüber der Umstieg auf eine breite Objektförderung nach österreichischem Muster, mit einer Zugangsmöglichkeit auch für die Mittelschicht. Das würde auch den Wiedereinstieg in die Wohnungsproduktion von langfristig orientierten Mietwohnbauträgern begünstigen – in Gestalt von ehemals gemeinnützigen Genossenschaften und kommunalen Gesellschaften wären diese vorhanden. Den Kardinalfehler der Abschaffung der Gemeinnützigkeit kann man damit wohl nicht zur Gänze kompensieren.
Bleibt quasi eines zum Trost, zumindest hier in Österreich: Am Beispiel Deutschlands lernt man die positiven Elemente unseres Systems mit der auf die Versorgung breiter Schichten ausgerichtete Wohnungsgemeinnützigkeit in Verbindung mit der Wohnbauförderung noch besser schätzen. Beides unterstützt eine Verstetigung der Wohnbauleistung – auch ein in Deutschland zumindest in früheren Jahren genanntes Ziel der Wohnungspolitik – professionelle, nachhaltig orientierte Wohnbauunternehmen, leistbaren Wohnraum sowie ein gutes soziales Klima.

Hintergrunddokumente, alle als Downloads auffindbar:

  • Subventionsberichte der Deutschen Bundesregierung
  • Dritter Bericht der Bundesregierung über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland und Wohngeld- und Mietenbericht 2016 
  • Prognos: Studie Wohnbautag 2017 – Wohnraumbedarf in Deutschland und den regionalen Wohnungsmärkten
  • Diverse Pressemeldungen aktuell