Skip to main content Skip to page footer

EU-Taxonomie im Gebäudesektor

Notwendigkeiten, Herausforderung und Chancen für gemeinnützige Bauvereinigungen.

Die EU Taxonomie als noch relativ junges Rechtsinstrument der Europäischen Union ist in aller Munde, sorgt dabei für teils diametral unterschiedliche Einschätzungen. Von „kein Stein bleibt auf dem anderen“ bis hin zu „geht uns nichts an, wir sind ja nicht betroffen“ spannt sich die Meinungsfalt bei Stakeholdern der Gebäude- und Immobilienwirtschaft. Ein Versuch einer besonnenen Standortbestimmung unter besonderer Würdigung gemeinnütziger Bauvereinigungen.

Kurze Historie des „delegierten Rechtsaktes“.
Bereits im Juni 2020 kam es zur Verabschiedung der „Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen …“, die damals geborene EU Taxonomieverordnung gilt seither in der ganzen Europäischen Union. Bereits in dieser Rahmenverordnung wurden wesentliche Inhalte des neuen Klassifizierungssystems (= Taxonomie) für die Einschätzung der Nachhaltigkeit von Investitionen veröffentlicht, ohne dass dabei allzu sehr technische Details in Form konkreter Anforderungen verlautbart wurden. Die Ausformulierung dieser Anforderungen erfolgte innerhalb von nur einem Jahr, dieses Mal als „delegierter Rechtsakt“ durch die EU Kommission. Das Besondere an diesem Rechtsinstrument: Anders als Richtlinien oder normale EU Verordnungen, die von den einzelnen Mitgliedsstaaten in nationales Recht überzuführen sind, braucht es für „delegierte Rechtsakte“ keine weitere (politische) Konsultation oder gar nationale rechtliche Interpretation. Ein delegierter Rechtsakt wird von der Kommission nach Abwicklung von Stakeholderprozessen direkt veröffentlicht, den Mitgliedsstaaten kommt in weiterer Folge keine Entscheidungs- oder Gestaltungskompetenz zu. Konkret veröffentlichte die Kommission im Juni 2021 „technische Bewertungskriterien“, welche als „Ergänzung“ zur eigentlichen Taxonomieverordnung zu verstehen sind, dabei in einem ersten Schritt die anzuwendenden Bewertungskriterien für die beiden Umweltziele Klimaschutz und Klimawandelanpassung definierten und für die nächsten Jahre dingfest machten. Kurz danach ist es dann in der Realwirtschaft so richtig losgegangen: Die ersten Unternehmen mussten bereits für das Geschäftsjahr 2021 feststellen, welche ihrer Wirtschaftsaktivitäten „taxonomie-fähig“ sind und ab dem Geschäftsjahr 2022, inwieweit diese Wirtschaftstätigkeiten „taxonomie-konform“ sind.

Mehr Transparenz im Nachhaltigkeitsreporting oder: „Worum es eigentlich geht“. 
Spätestens mit Antritt des neuen EU Kommissionsvorsitzes im Jahr 2019 und damit mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihrem für den „Green Deal“ zuständigen Co Frans Timmermans hat die Europäische Union die Schlagzahl in Sachen Klimaneutralität und Nachhaltigkeit wesentlich erhöht. Das zeigt sich in einer Vielzahl an Gesetzesbeschlüssen für praktisch alle Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche, immer mehr davon als delegierte Rechtsakte der Kommission. Der Green Deal mit seinem aktuellen Klimaschutz-Programm „Fit for 55“ geht deutlich stärker ins (formelle) Eingemachte. Für den Finanzmarkt und dabei für die EU-weit harmonisierte Einstufung von „grünen Geld“ (besser: grünen Investitionen) soll die EU Taxonomie den entscheidenden Rahmen definieren und gleichzeitig sowohl die konkreten Inhalte als auch den Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen betreffend klare Vorgaben definieren. Für all jene, die daraus viel neue Arbeit erwarten, die gute Nachricht vorneweg: Niemand ist verpflichtet, die damit verbundenen Anforderungen heute, morgen oder übermorgen einzuhalten. Die schlechte Nachricht hinterher: Bis 2026 wird der Großteil aller in der EU agierenden Unternehmen verpflichtet sein, ergänzend zu ihrer Bilanzberichterstattung klare Auskunft darüber zu geben, welcher Teil der Geschäftstätigkeit „Taxonomie-konform“ ist und welcher nicht. Mit anderen Worten: Welcher Teil von Umsatz, Investitionen und Betriebsausgaben ist „grün“ oder „grau“? 

Grün oder Grau anhand von sechs Umweltzielen.
Die EU Taxonomie benennt dabei insgesamt sechs Umweltziele, in der Kurzform: Klimaschutz, Klimawandelanpassung, (Schonung der) Wasserressourcen, Kreislaufwirtschaft, (Vermeidung von) Umweltverschmutzung und Biodiversität. Gleichzeitig dazu benennt die EU Taxonomie jene Wirtschaftstätigkeiten, die grundsätzlich „taxonomie-fähig“ sind. Die aktuelle Listung umfasst neun Sektoren, welche wiederum in bis zu 25 Teilaktivitäten unterteilt sind. Wirtschaftsaktivität 7 behandelt die Bauwirtschaft und den Immobiliensektor, welche vom Neubau über (umfassende) Renovierung, vier Tätigkeitsschwerpunkte bei Wartung, Reparatur und Instandhaltung bis hin zum Erwerb von und Eigentum an Immobilien detaillierte Taxonomie-Anforderungen für die sechs Umweltziele benennt. Das Prinzip der Taxonomie-Konformität von Umsatz, Investitionen und Betriebsausgaben folgt dabei einem simplen Prinzip: Das Unternehmen sucht sich zumindest ein Umweltziel aus, in dem es einen „wesentlichen Beitrag“ zur Zielerfüllung leistet und muss zusätzlich dazu nachweisen, dass die anderen bis zu fünf Umweltziele „nicht wesentlich beeinträchtigt“ werden (sogenannte DNSH-Kriterien als Mindeststandards; DNSH … do not significant harm). Zusätzlich dazu gibt es für das Gesamtunternehmen Prüfkriterien der sozialen Verträglichkeit und Zuverlässigkeit (Compliance, Anti-Korruption etc.). Werden alle Anforderungen des „wesentlichen Beitrags“, der DNSH-Kriterien und der sozialen und Zuverlässigkeitskriterien erfüllt, dann gelten Umsatz / Investition und Betriebsausgaben „grün“ und damit Taxonomie-konform. Wenn nicht, dann sind diese Betriebskennzahlen als „grau“ und damit nicht-konform zu bezeichnen.

Grün, grau, egal oder: Die simple und bestechende Intelligenz der Taxonomie-Verordnung.
Wie bereits festgehalten wurde, ist kein einziges Unternehmen in der Europäischen Union rechtlich verpflichtet, die technischen Anforderungskriterien der EU Taxonomie einzuhalten. Die Verpflichtung besteht lediglich darin, Taxonomie-Konformität (oder auch nicht) in die Finanzberichterstattung aufzunehmen. Und genau darin liegt die Intelligenz der Verordnung: Kein vordergründiger Zwang zum Tun, lediglich zum faktischen Performance-Outing abseits beliebiger, oft selbst gewählter Indikatoren. Beginnend mit aktuell ganz großen Unternehmen (Anmerkung: mehr als 500 Beschäftigte, „vom öffentlichen/übergeordneten Interesse“, … gelistet in Österreich im sogenannten NaDiVeG oder etwas kompliziert „Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz“) über bald alle kapitalmarktorientierten Unternehmen, auf die zwei von drei Relevanzkriterien zutreffen (20 Mio Euro Bilanzsumme, 40 Mio Umsatz, 250 Beschäftigte) bis hin zu danach allen börsennotierten Unternehmen (außer Mikrounternehmen) wird diese Berichtspflicht ausgeweitet. In der Praxis gehören zu den allerersten Unternehmen insbesondere auch die Banken und Finanzinstitute. Diese stellen für praktisch alle anderen Unternehmen Kredite und Finanzierungsinstrumente bereit. Und bei der Mittelvergabe wird nun aufgrund der Berichtspflicht der Finanzinstitute verstärkt nachgefragt, inwieweit das geplante Investment den Taxonomie-Anforderungen entspricht. Denn die Banken müssen bereits jetzt berichten, wie hoch der Anteil an Taxonomie-konformen Mitteln an Umsatz, Investitionen und Betriebsausgaben ist. Jede Bank kann genauso wie die Unternehmen nach eigenem Ermessen entscheiden, ob Investments „grün“ sind oder nicht. Da jedoch auch die Banken bei der Wiederbeschaffung von Geld auf gute Ratings angewiesen sind und die Frage „grün oder grau“ künftig verstärkt zum Entscheidungskriterium für diese Ratings wird, ist damit zu rechnen, dass bei der Kreditvergabe Taxonomiekonformität verstärkt zur Pflicht wird oder mit Zinsaufschlägen zur Risikominderung behandelt wird. Die Kommission (und damit die Europäische Union mit ihren Mitgliedsländern) geht schlichtweg davon aus, dass diese Logik des Finanzmarktes sich Schritt für Schritt zu einem zentralen Hebel der europäischen Klimaschutzpolitik entwickelt und dabei viele andere ordnungs- und förderpolitische Instrumente unterstützt. Wie schnell das gehen wird, steht nicht mehr in den Sternen. Bereits gegenwärtig ist mit bis zu 25 bis 50 Aufschlagpunkten bei der Kreditvergabe zu rechnen, steigende Tendenz unbekannt aber erwartbar.

Die Betroffenheit und die Chancen für gemeinnützige Bauträger.
Nur wenige (ganz große) Bauträger oder Immobilienunternehmen fallen bereits gegenwärtig unter die Berichtspflicht der „nicht finanziellen Berichterstattung“. In den nächsten Jahren ist damit zu rechnen, dass diese Pflicht weitaus mehr Unternehmen und dabei auch die gemeinnützigen Bauvereinigungen erfasst. Bereits jetzt sind praktisch alle Bauträger bei der Fremdfinanzierung mit der Taxonomie konfrontiert, „perform or pay“ könnte zu einem fordernden Paradigma werden. Damit einhergehend ist auf den ersten Blick eine umfassende Ausweitung der Geschäftsdokumentation, welche erst in einem zweiten Schritt die Deklaration von Taxonomie-Konformität ermöglicht. Wieder die gute Nachricht zuerst: Gegenwärtig müssen gemeinnützige Bauvereinigungen, welche praktisch in erster Linie Wohnungen vermieten oder ihre Objekte in Eigennutzung halten, ihre Bemühungen auf die beiden Umweltziele Klimaschutz und Klimawandelanpassung konzentrieren. Dass hat die EU Kommission vorerst in einer umfassenden Anfragebeantwortung im Dezember 2022 festgehalten. Die vielleicht schlechte Nachricht dazu: Die Kommission hält zum einen fest, dass die Taxonomie-Anforderungen sukzessive nachgeschärft werden – Klimaneutralität ist dabei das Ziel. Und: Anders als in anderen Rechtsakten erwerben die Wirtschaftsteilnehmer*innen keinen Bestandsschutz eines einmal festgestellten Rechts (Grandfathering); es gelten bei der Taxonomie-Prüfung immer die aktuell gültigen Taxonomie-Anforderungen. Es ist somit damit zu rechnen, dass sukzessive das eine oder andere Umweltziel auch für vermietete Objekte hinzukommt. In Kenntnis der Qualität von Neubauten, umfassenden Sanierungen und auch Bestandsgebäuden in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft darf diese Tatsache keine allzu großen Ängste verursachen. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft hat bereits in den vergangenen Jahrzehnten sowohl Innovation als auch Glaubwürdigkeit des nachhaltigen Bauens wesentlich gestützt. Sie erhält durch klare und transparente Vorgaben der EU Taxonomie die Chance, ihre Leistungsfähigkeit sowohl innerösterreichisch als auch über die Landesgrenzen hinweg wiederholt und mit (relativ) klaren Benchmarks unter Beweis zu stellen und sie wird in weiten Bereichen diese Chance nutzen können.

Wie geht’s weiter? Handlungsempfehlungen und Lernbedarf.
In den nächsten zwei, drei Jahren muss sich der nationale Immobiliensektor hinsichtlich der Dokumentation von und Nachweisführung zu zentralen Nachhaltigkeitsanforderungen neu aufstellen, braucht dafür geeignete Instrumente und Unterstützungsleistungen. Mit der vom BMK herausgegebenen „Konformitätsbeschreibung zur EU-Taxonomie im Gebäudesektor“ wurde dafür im März dieses Jahres im Rahmen des Programms klimaaktiv Gebäude ein erster und dabei vor allem kostenfreier Baustein geleistet. Die Nachfrage nach dem darin enthaltenen Knowhow ist riesig, beispielsweise werden im Rahmen der GBV Akademie speziell für gemeinnützige Bauvereinigungen noch im Juni 2023 erste Webinare abgehalten. Wenn es eine Handlungsempfehlung zur EU Taxonomie geben kann, dann lautet diese wie folgt: Gut vorbereitet ist sie nicht nur bewältigbar sondern sogar eine ganz große Chance zur Bestätigung bereits vorhandener Qualitäten und zur Inangriffnahme strategischer Initiativen zur Bewältigung immer klarer werdender Transformationsaufgaben. Ganz gleich, ob es sich dabei um den Klimaschutz („Raus aus Gas“), die Klimawandelanpassung („Klimafit Wohnen 2050“), die Kreislaufwirtschaft („Das Gebäude als umweltverträgliches Rohstofflager“) oder so manches anderes Umweltziel handelt. Hoffentlich bald deutlich niedrigere Zinsen in der Finanzierung von Wohnbauten von umfassend „grünen“ GBVs wären dafür ein reales Plus, das sich sofort rechnet.

 

Autor: Robert Lechner
Leiter des Österreichischen Ökologie-Instituts und Geschäftsführer dessen Beratungstochter pulswerk GmbH. Mitglied Programmleitung klimaaktiv Gebäude, Vorstand Österreichische Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB). Aufssichtsrat Renowave e.G. und BauKarussell e.G..Hauptautor der vom BMK herausgegebenen „Konformitätsbeschreibung zur EU-Taxonomie im Gebäudesektor“, Wien März 2023.

Download unter: https://www.klimaaktiv.at/bauen-sanieren/gebaeudedeklaration/eu-taxonomiekonformitaet-im-gebaeudebereich.html

 

Besonders relevante Quellen:

  • Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088
  • Delegierte Verordnung (EU) C/2021/2800 der Kommission vom 4.6.2021 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung der technischen Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leistet, und anhand deren bestimmt wird, ob diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen eines der übrigen Umweltziele vermeidet.
  • DRAFT COMMISSION NOTICE on the interpretation and implementation of certain legal provisions of the EU Taxonomy Climate Delegated Act establishing technical screening criteria for economic activities that contribute substantially to climate change mitigation or climate change adaptation and do no significant harm to other environmental objective. EU-Kommission vom 19. Dezember 2022. Mit Stand vom 14.4.2023 nur in englischer Sprache verfügbar.
  • DRAFT COMMISSION NOTICE on the interpretation and implementation of certain legal provisions of the Disclosures Delegated Act under Article 8 of EU Taxonomy Regulation on the reporting of Taxonomy- eligible and Taxonomy-aligned economic activities and assets (second Commission Notice). EU-Kommission vom 19. Dezember 2022. Mit Stand vom 14.4.2023 nur in englischer Sprache verfügbar.
  • OIB Richtlinie 6 – 2019, Energieeinsparung und Wärmeschutz, Ausgabe April 2019. (Nationale Umsetzung der EU Gebäuderichtlinie). 
  • OIB-Dokument zur Definition des Niedrigstenergiegebäudes und zur Festlegung von Zwischenzielen („Nationaler Plan“ in aktueller Fassung 2018).
  • Zahlreiche Richtlinien, Normen auf europäischer und/oder nationaler Ebene, welche den jeweiligen formalrechtlichen Rahmen ergänzen oder bei fehlenden formalrechtlichen Vorgaben den Stand der Technik repräsentieren.