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Bauen mit sozialer Verantwortung

Der Verbandstag 2018 steht unter dem Themenschwerpunkt „Bauen mit sozialer Verantwortung“. Stellvertretend für viele andere werden drei zukunftsweisende Projekte vor den Vorhang gebeten: das Haus „Liah“ für geflüchtete Frauen in Igls (Tirol), das Demenzzentrum Oberwart (Burgenland) und die Provinzenz-Wohnhäuser in Salzburg.  

Für die Gemeinnützigen ist soziale Verantwortung kein leerer Slogan. Zum einen sind sie bereits durch ihre Geschäftsgrundlage nach WGG der Allgemeinheit verpflichtet, da gemeinnützige Bauvereinigungen „ihre Tätigkeit unmittelbar auf die Erfüllung dem Gemeinwohl dienender Aufgaben des Wohnungs- und Siedlungswesens zu richten“ haben (§1 (2) WGG). Zum anderen verbindet man mit sozialer Verantwortung explizit auch ein Angebot an Menschen, die besondere Unterstützung benötigen. Wie tragen gemeinnützige Bauvereinigungen dazu bei, dass diese Menschen ein selbstbestimmtes Leben in hoher Lebensqualität führen können?

Eine Umfrage des Verbandsbüros unter den Mitgliedsunternehmen versucht, einige Antworten auf diese Frage zu geben 1.

Sozial zweckgebundener Wohnraum

  • Neben der Berücksichtigung von sozialen Bedarfsgruppen im Rahmen der „normalen Wohnungsvergabe“ haben sehr viele GBV auch spezialisierte, zweckgewidmete Wohnungsangebote: 82% der befragten GBVs richten sich mit mindestens einem Objekt an eine soziale Zielgruppe, 38% sogar an drei oder mehr unterschiedliche Gruppen
  • 72% der GBVs haben ein spezielles Wohnungsangebot für Senioren, 36% für Pflegebedürftige, 28% für Kinder und Jugendliche mit Betreuung, 23% für Asylwerber bzw. Asylberechtigte, 16% für Nichtsesshafte oder von Wohnungslosigkeit Bedrohte, 15% für Familien oder Alleinerziehende in sozialen Notlagen und 23% für andere Bedarfsgruppen (z.B. mehrfach Beeinträchtigte).
  • Insgesamt sind knapp 11.000 Wohneinheiten bzw. 3,4% des Mietwohnungsangebots der befragten GBV für soziale Bedarfsgruppen zweckgebunden (siehe Abbildung).
  • Soziales Engagement heißt Zusammenarbeit. Die gemeinnützigen Bauvereinigungen kooperieren mit den Gemeinden, Sozialhilfeverbänden und einer Vielzahl an Vereinen und sozialen Trägerorganisationen, um die Betreuungsdienstleistungen in hoher Qualität sicherzustellen (siehe Abbildung). 

Abbildung: Zweckgebundene Wohnungen/Heimeinheiten für soziale Bedarfsgruppen bei gemeinnützigen Bauvereinigungen. Reine Tagesstätten, sowie Schüler- und Studentenheime nicht mitgezählt. N= 64 GBV, die an der Befragung teilgenommen haben. Quelle: GBV, 2018 

Abbildung: Die meistgenannten Kooperationspartner der GBV im Bereich sozialer Dienste. Darstellung ab 2 Nennungen; Schriftgröße symbolisiert Häufigkeit der Nennungen. Quelle: GBV, 2018 mithilfe von wordle.net.

 Inklusion auch „ohne soziales Mascherl“

Spezialisierte Objekte sind aber nicht immer das beste Mittel, um Menschen mit besonderen Bedürfnissen die gesellschaftliche Teilhabe zu erleichtern. Trotz Beeinträchtigung selbstbestimmt zu leben bedeutet für viele Menschen, in einem normalen Wohnhaus und der gewohnten Umgebung wohnen (bleiben) zu können. 

Die GBVs setzen diesen Wunsch in Form von inklusiven, gemischt genutzten Gebäuden um (z.B. normale Mietwohnungen, betreute Wohnungen und Tageszentrum in einem Haus) oder auch durch den gänzlichen Verzicht auf ein spezielles soziales „Mascherl“ am Objekt, sofern keine Spezialausstattung erforderlich ist: Personen mit Unterstützungsbedarf leben in gewöhnlichen Häusern Seite an Seite mit anderen Bewohnern. Und wenn es den Nachbarn nicht freiwillig mitgeteilt wird, erfährt niemand von der Betreuung durch Pfleger/innen oder Sozialarbeiter/innen. 

Ein Beispiel für diese Art der Wohn-Inklusion ist das Housing first – Konzept, das in der Wohnungslosenarbeit international Schule gemacht hat: Ehemals Wohnungslose werden nicht in speziellen Institutionen untergebracht, sondern erhalten als ersten Schritt zurück in die Gesellschaft einen Schlüssel und einen Mietvertrag für eine normale Mietwohnung, für die sie auch aus eigenen Einkünften (inkl. Arbeitslosengeld / Mindestsicherung) aufkommen müssen. Parallel gibt es einen Betreuungsvertrag mit einer Sozialorganisation, die die Klienten bei der Alltagsorganisation unterstützt (z.B. Behördengänge, Arbeitssuche, ggf. betreutes Konto), aber organisatorisch und finanziell unabhängig von der Hausverwaltung ist. Aktuell gibt es in Österreich neun Housing-First-Projekte, sieben davon mit maßgeblicher Beteiligung gemeinnütziger Bauvereinigungen auf der Vermieterseite . Die bisherigen Evaluierungen fallen sehr positiv aus, und der weit überwiegende Teil der Klienten lebt auch nach mehreren Jahren noch in derselben Wohnung (siehe z.B. Evaluierungsbericht von L&R Sozialforschung 2015; Beiser 2017 ). Die meisten Projekte expandieren; weitere Wohnungsangebote werden gesucht.

Vernetzung zwischen GBV und BAWO (Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe)

Auf der operativen Ebene läuft die Kooperation zwischen verschiedenen sozialen Organisationen und gemeinnützigen Bauvereinigungen schon lange erfolgreich. Nun vernetzten sich auch die Dachorganisationen: Mit dem Themenschwerpunkt „Verbindung von Wohnbau und Wohnungslosenhilfe jetzt verbessern“ lud die BAWO im Rahmen ihrer Fachtagung am 16. Mai 2018 zur Fachdiskussion mit GBV-Beteiligung. Bereits im Vorjahr fanden auf Initiative der BAWO mehrere interdisziplinäre Workshops statt, an denen auch Expertinnen des Verbands teilnahmen. Die Ergebnisse fanden in das BAWO - Positionspapier (Wohnen für alle. leistbar. Dauerhaft. Inklusiv.) Eingang. 

Anliegen im Interesse sowohl des GBV als auch der BAWO sind: Die Ausweitung des Angebots an preisgünstigen, gemeinnützigen Mietwohnungen mit möglichst geringen Finanzierungsbeiträgen, frühzeitige Maßnahmen zur Wohnungssicherung und Delogierungsprävention sowie die Verbreitung von erfolgreichen Kooperationsprojekten (z.B. Housing first). Gleichzeitig gilt es aber auch, die räumliche Konzentration armutsgefährdeter Menschen hintanzuhalten, einerseits, um Stigmatisierungseffekte zu vermeiden und andererseits, um das Kostendeckungs-Gleichgewicht der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft nachhaltig zu sichern.

Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald 

1 Die Befragung fand Ende 2017 statt. An der Befragung haben 64 gemeinnützige Bauvereinigungen (43% aller GBV) teilgenommen, die 53% des gemeinnützigen Mietwohnungsbestands repräsentieren. 

2 Quelle: Workshop „Housing first“ bei der BAWO-Fachtagung 2018, eigene Erhebungen

3 Christian Beiser: Wohnen für alle. Blick nach Vorarlberg. BAWO Vorstand. Graz, 18.12.2017.