Klimawandelanpassung konkret - über Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Stadt und Gebäude
Eine Online Nachlese zum Verbandstag der gemeinnützigen Bauvereinigungen 2022
Wissenschaftlich fundierte Aussagen zur Entwicklung des globalen Klimas bei unterschiedlichen Konzentrationen von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre haben sich als sehr treffsicher erwiesen. Sie können daher als Grundlage für die Vorhersage regionaler Klimata dienen.
Szenarien zur Entwicklung des Klimas
Vor diesem Hintergrund ist es möglich, ganz konkret abzuschätzen, wie warm es an einem bestimmten Ort beispielsweise in 30 Jahren sein wird, wenn wir wirksamen Klimaschutz betreiben oder etwa in 60 Jahren, wenn wir fortgesetzt mehr und mehr Treibhausgase emittieren. Speziell zu betrachten sind dabei die Städte, in denen sich auf Grund des Hitzeinseleffektes überdurchschnittlich hohe Temperaturniveaus ausbilden.
Aktuell steigen unsere Treibhausgasemissionen stetig. Im hier angenommen wirksamen Klimaschutzszenario gelingt es, die Menge an CO2equ- Emissionen ab 2080 konstant auf 50% des heutigen Ausstoßes zu stabilisieren. Das Pariser Klimaabkommen hätte hingegen eine Beschränkung der Treibhausgasemissionen auf 20% von 1990 konstant ab 2050 vorgesehen.
Ausprägung des Klimas in konkreten Städten
Was erwartet uns also konkret in den unterschiedlich ausgeprägten Städten Wien, Graz und Innsbruck im Sommer 2050, wenn wir im Klimaschutz erfolgreich waren oder im Sommer 2080, wenn wir weiter machen wie bisher?
Um dazu vergleichbare Vorhersagen treffen zu können, wurden sogenannte urbane Standardtypologien als abstrahierte Modelle entwickelt. Diese Standardtypologien:
- bilden Wohnbebauungen und ihren angrenzenden Umraum ab
- sind in allen österreichischen Landeshauptstädten zu finden
- kommen innerhalb der Städte wiederholt vor
- sind von hoher Relevanz für den österreichischen Gebäudebestand.
Auf dieser Basis werden neun unterschiedliche Bebauungsstrukturen mit Versiegelungsgraden von 38 bis 90 % kreiert und in einem Cluster zusammengestellt. Der Cluster wird in zentraler Lage in Wien, Graz und Innsbruck situiert und im jeweils zu erwartenden Stadtklima unter den Randbedingungen einer fünftägigen Hitzewelle einer thermischen Simulation unterzogen.
Besonders aussagekräftig sind die so ermittelten Vergleiche der empfundenen Temperatur, welche für das Wohlbefinden des Menschen maßgeblich ist. Die empfundene Temperatur weicht zumeist von der gemessenen Lufttemperatur ab, da sie auch von weiteren meteorologischen Größen wie Luftfeuchte, Wind und Strahlung, aber auch der Bekleidung oder Tätigkeit abhängig ist.
Die empfunden Tagestemperaturen
Die folgende Abbildung vergleicht die gefühlten mittleren Temperaturen um 15:00 Uhr über eine fünftägige Hitzewelle für den Stadtraum in Wein, Innsbruck und Graz. Farblich dargestellt ist die Situation, wie sie sich aktuell ausprägt links unter 2001 bis 2020, wie sie sich in rund 30 Jahren darstellt, wenn wir wirksamen Klimaschutz betreiben, mittig unter 2050 RCP4.5, und wie sie in etwa 60 Jahren ausfallen wird, wenn wir weiter zunehmend emittieren rechts unter 2080 RCP8.5.
© Bildnachweis: green4cities
Unter tags weist Wien auf Grund seiner Lage in einem halboffenen gut durchlüfteten Becken trotz seiner Größe die niedrigste gefühlte Temperatur auf. Innsbruck verzeichnet bedingt durch die enge Tallage die höchste gefühlte Temperatur. Und Graz mit seiner wenig durchwindeten Beckenlage verzeichnet höhere gefühlte Temperaturen als Wien jedoch geringere als Innsbruck. Zu beachten ist, dass die Farbskala Gelb bis Rot gefühlte Temperaturen von mindestens 35° und darüber für alle drei Städte ausweist. Ab einer gefühlten Temperatur von 35°C besteht eine starke thermophysiologische Beanspruchung, unseren Körper steht unter Dauerstress. Vor allem der Wasserhaushalt und das Herz-Kreislauf-System des Menschen sind stark gefordert.
Die empfunden Nachttemperature
Stellt man der heißen Nachmittagsphase nun die gefühlten Temperaturen nach der nächtlichen Abkühlphase um 5 Uhr morgens gegenüber, ergibt sich ein umgekehrtes Bild.
© Bildnachweis: green4cities
Wien kann auf Grund seiner Größe, des ruhenden Windes und in Abhängigkeit von der Luftfeuchtigkeit am wenigsten abkühlen. Es bildet sich eine deutliche urbane Hitzeinsel aus. Innsbruck zeigt hingegen die deutlichste Absenkung der gefühlten Temperatur. Und in Graz liegt entsprechend seiner mittleren Größe auch eine mittlere Abkühlung vor.
Anzustreben wäre längere Phasen, in denen die empfundene Temperatur unter 23° fällt, damit eine ausreichende Regeneration des Körpers vom Hitzestress möglich wird. Das ist dort der Fall, wo die Diagramme dunkelbaue Farbschattierungen aufweisen.
Auswirkungen auf den Gebäudeinnenraum
Es zeigen sich hier sehr deutliche Unterschied zwischen den Städten mit klaren Folgen für die Möglichkeiten der Lufttemperierung im Gebäudeinneren. So kann man im folgenden Diagramm den Verlauf der Lufttemperatur im Außenraum während der fünftägigen Hitzewelle im Jahr 2080 mit ungebremster Treibhausgasemission für Wien, Graz und Innsbruck ablesen.
© Bildnachweis: Institute of Building Research & Innovation ZT-GmbH
Es zeigt sich, dass die Nächte in Innsbruck auch bei deutlich ausgeprägtem Klimawandel so kühl erwartet werden dürfen, dass Nachtlüften die thermophysiologische Belastung effektiv senkt und somit eine sinnvolle Maßnahme darstellt. In Wien hingegen bleiben die Nächte zu warm, um ausreichende thermophysiologische Wirksamkeit zu entfalten. Diese Situation ist hier körperlich besonders belastend und kann durch Nachtlüftung nicht mehr ausreichend gemildert werden.
Wirksame Maßnahmen zur Klimawandelanpassung
Die thermische Simulation unterschiedlicher Maßnahmen resultiert in den folgenden Handlungsempfehlungen für die Gebäuden:
- Eine ambitionierte thermische Sanierung der Bestände ist nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch im Sinne der Klimawandelanpassung unabdingbar.
- Entsprechender außenliegender Sonnenschutz ist besonders wirkungsvoll und daher sowohl im Neubau wie bei der Bestandssanierung eine zielführende Maßnahme.
- Von der Aktivierung der thermischen Gebäudemasse durch Nachtlüftung kann ein wirksamer Kühlungseffekt erwartet werden, wenn die nächtliche Umgebungslufttemperatur um rund sechs Grad Kelvin niedriger ist als die gewünschte Tages-Raumlufttemperatur.
- Eine aktive Temperierung etwa durch Ausbildung kühler Strahlungsflächen an Zimmerdecken ist höchst wirksam und kann klimaneutral bereitgestellt werden.
- Kühle Aufenthaltsräume sollen für Alle barrierefrei erreichbar angeboten werden.
- Hochtemperaturprozesse wie Gasfeuerungen sind zu vermeiden und Abwärmen zu nutzen.
… und die Außenräume:
- Für ausreichenden, qualitätvollen Schatten sorgen.
- Den Versiegelungsgrad minimieren.
- Durchlüftbarkeit sicherstellen.
- Nächtliche Abstrahlung gegen den Himmel im Rahmen eines Albedokonzepts optimieren.
- Baumbestand lebenszyklisch und klimawandelangepasst betrachten und in Abstimmung mit dem Albedokonzept und der Durchlüftbarkeit maximieren.
- Wassermanagement betreiben und Reinwasser am Grundstück halten.
- Cool-spots barrierefrei anbieten.
- Hochtemperaturprozesse etwa im motorisierten Individualverkehr vermeiden.
Die Untersuchungen wurden im Zuge des folgenden Forschungsprojekts durchgeführt:
NORM - New Options for Resilient Measures
for human health and well-being in the construction industry under climate change in Austria
Gefördert durch den Klima- und Energiefonds im Rahmen des Austrian Climate Research Program ACRP
Projektbeteiligte: bauXund Forschungs- und Beratungs gmbh; Universität für Bodenkultur Wien Institut für Meteorologie und Klimatologie; green4cities; Institute of Building Research & Innovation ZT-GmbH; Medizinische Universität Wien Zentrum für public health
Renate Hammer
Foto © Martin Steiger