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Notenbank zwischen hoher Inflation und schwächerer Wirtschaft

Die Wirtschaft der Eurozone hat sich im ersten Halbjahr 2022 gut entwickelt, in manchen Ländern war das BIP-Wachstum im 2. Quartal deutlich über den Erwartungen. Bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden Monaten sollte man jedoch vorsichtiger sein. Der derzeitige Boom im Sommertourismus wird bis Ende des 3. Quartals abflauen, und Unternehmen werden höhere Kosten stärker an die Verbraucher weitergegeben. Wir gehen davon aus, dass höhere Finanzierungskosten, ausgelöst durch gestiegene Zinsen, Reallohnverluste sowie die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und anhaltende Lieferkettenprobleme die Wirtschaft der Eurozone im 2. Halbjahr 2022 und 2023 zunehmend belasten werden. Auf Länderebene kann die Entwicklung jedoch unterschiedlich ausfallen. 

Das BIP-Wachstum in Österreich hat ebenfalls im 2. Quartal 2022 positiv überrascht. Das Beherbergungs- und Gaststättengewerbe sowie der Dienstleistungssektor im Allgemeinen waren die Haupttreiber des Wachstums. Der private Konsum ist jedoch mit -1,9% gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. Die Erosion der Kaufkraft aufgrund der höher als zuvor erwarteten Inflation hinterlässt ihre Spuren. Während wir in Österreich für das Jahr 2022 insgesamt ein solides BIP-Wachstum von +3,8% erwarten, das von der starken Konjunktur in den ersten beiden Quartalen getragen wird, sollte sich das Wachstum 2023 deutlich abschwächen.

Österreichs Bauwirtschaft
Die Bauwirtschaft in Österreich hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt. Die Auftragslage ist derzeit solide, allerdings schlägt sich die Unsicherheit bereits in einer schwächeren Stimmung der Bauindustrie nieder. Während der Tiefbau von staatlichen Aufträgen profitiert, kann man im Wohnbau bereits eine Verlangsamung erkennen, vor allem im Neubau, wo weniger Baubewilligungen ausgestellt wurden. Sanierungsvorhaben könnten durch das Thema Energieeffizienz wichtiger werden. 

Durch Arbeitskräftemangel, gestiegene Preise und mangelnde Verfügbarkeit mancher Baustoffe kann es dazu kommen, dass Projekte langsamer abgearbeitet werden. Dies kann einerseits zu einer Verlangsamung der Baukonjunktur beitragen, aber andererseits stabilisierend auf die Preise wirken. Beim leistbaren Wohnbau wird es zunehmend schwerer, die gestiegenen Kosten zu kalkulieren. Sollte der Ukraine-Krieg und die Folgen, wie hohe Energiepreise, länger anhalten oder es sogar noch zu Verschärfungen kommen, könnte sowohl die Bauwirtschaft als auch die Leistbarkeit von Wohnraum weiter leiden.

Ausblick auf die Zinswende
Wie weit steigen die Zinsen? Die in der Eurozone zuletzt stark gestiegene Inflation (Juli: 8,9%) setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Der inländische Preisdruck, auch genannt Kerninflation, ist jener Teil der Inflation, den die Notenbank mit ihren Instrumenten beeinflussen kann. Hinzu kommen globale Preisentwicklungen, wie Energie- oder Nahrungsmittelrohstoffpreise, auf die die Notenbank kaum Einfluss nehmen kann.

Die Europäische Zentralbank möchte die mittelfristigen Inflation bei 2% stabilisieren. Deshalb hat sie begonnen, ihre Geldpolitik, die über viele Jahre sehr unterstützend für die Wirtschaft war, zu normalisieren. Dabei hat sie Anfang Juli aufgehört, den Finanzmärkten durch Wertpapierkäufe zusätzliche Liquidität zuzuführen und hat im gleichen Monat die Zinssätze um 50 Basispunkte (0,5%) angehoben. Wir rechnen im September noch einmal mit einer Zinserhöhung um 0,5%. Sollte sich die Wirtschaft jedoch bis dahin stark eintrüben, sollten es „nur“ 0,25% werden. Nach einem weiteren möglichen Zinsschritt im Oktober, könnte die EZB im Dezember eine Pause einlegen, je nachdem, wie dann die Aussichten für die Wirtschaft und die Inflation sein werden. 

Wenngleich die Zinsen graduell angehoben werden sollten, rechnen wir in Summe weiterhin mit moderaten Finanzierungskosten, die eine nachhaltige Kalkulation von Investitionsprojekten ermöglichen sollten. Hat man eine Immobilie mit fixen Zinssätzen finanziert, werden die steigenden Zinsen der Notenbank nicht ins Gewicht fallen. Bei variable verzinsten Finanzierungen werden die Zinssätze vorerst steigen. 

Gudrun Egger, Head of Major Markets and Credit Research bei der Erste Bank

 

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