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GBV beim „International Social Housing Festival“ in Helsinki: Viele Ideen und eine internationale Auszeichnung

Dr. Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald und Mag. Christian Krainer

Von 14. bis 17. Juni 2022 fand in Helsinki, Finnland, das dritte „International Social Housing Festival“ (ISHF) statt. Auf Einladung der Organisatoren ARA (finnischer Development-Fonds für Wohnbau), der Stadt Helsinki und Housing Europe fanden sich rund 1000 Personen vornehmlich aus Europa, aber auch aus den USA, Afrika und Asien in der finnischen Hauptstadt ein. Sie vertraten ihre unterschiedlichen Tätigkeitsfelder: Wohnungsunternehmen, Wohnbaugenossenschaften, Stadt- und Landesverwaltungen, Politik, Stadtplanung, Architektur, Bankenwesen, Forschung und Kunst. 

In mehr als 80 Veranstaltungen (Workshops, Konferenzen, Exkursionen u.a.) wurden die aktuelle Bedeutung und die Herausforderungen einer am Menschen orientierten Wohnungswirtschaft und -politik thematisiert. Auch das Netzwerken kam nicht zu kurz. Der GBV war durch Mag. Christian Krainer und Dr. Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald vertreten. 

Zukunftsthemen im Mittelpunkt: Jugend, Energiewende, nachhaltige Finanzierung und soziale Verantwortung 
Die Eröffnungszeremonie wurde durch Frau Maria Ohisalo, Umweltministerin von Finnland (auch für Wohnbau zuständig), Juhana Vartianen, dem Bürgermeister der Stadt Helsinki, und Bent Madson, dem Präsidenten von Housing Europe, vorgenommen. Letzterer sprach sich dafür aus, beim Wohnbau nicht in erster Linie an Ziegel, sondern an Menschen und Nachbarschaften zu denken und gerade in Krisenzeiten, wie wir sie aktuell erleben, Sozialstaat und Wohnungspolitik eng miteinander verknüpft zu sehen. 

Die Jahreskonferenz von Housing Europe, die in das Festival eingebettet war, trug den Titel „What if...we imagined Next Generation housing with the youth?“ und stand unter dem hochaktuellen Thema des leistbaren Wohnens für Junge - wissend, dass in ganz Europa junge Menschen besonders große Hürden vorfinden, leistbare Wohnungen an ihren Arbeits- und Studienorten zu finden. Als Keynote Speaker und Panelist an der Seite von Filipa Rosetta (Stadtbaudirektorin von Lissabon) und Edo Omic (Wirtschaftsanalyst der Europäischen Entwicklungsbank) zeigte Christian Krainer (ÖWG / GBV) Wege auf, wie der Wohnbau nachhaltig und ressourcenschonend in die Zukunft geführt werden könne. Das von der ÖWG entwickelte modulare und mobile Wohnbausystem Kiubo (www.kiubo.eu) diente als Anschauungsbeispiel.

Die „Klimafitness“ der europäischen Wohnungsunternehmen wurde in dem Workshop „Housing providers getting fit for 55“ unter die Lupe genommen. Die niederländischen Veranstalter luden zum Austausch darüber, wie sich das Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden und bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 55% (gegenüber dem Niveau von 1990) zu senken, am Gebäudesektor umsetzen lässt. Es gab Impulsvorträge zur Situation in den Niederlanden, Finnland und Österreich; letzterer durch Gerlinde Gutheil (wohnwirtschaftliches Referat, GBV). Anschließend wurde in Kleingruppen diskutiert, um auch die Erfahrungen und Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus anderen Ländern einzubringen. Neben diesem Workshop widmeten sich auch mehrere andere Veranstaltungen dem Themenkreis Energiewende. 

Auf großes internationales Interesse stieß weiters ein von der TU Wien und der IBA Wien (Internationale Bauausstellung Wien) organisierter Workshop zum Thema „Neuer sozialer Wohnbau - was ist sozial am sozialen Wohnbau“. Die Wiener Wohnungspolitik wurde dort aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, Gerlinde Gutheil (GBV) ging in ihrem Kurzvortrag auf die Rolle der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen in Österreich und speziell in Wien ein.

Schließlich wurde den Themen Wohnbaufinanzierung und nachhaltige Investitionen Augenmerk geschenkt. Die Professorinnen Julie Lawson und Michelle Norris hielten ein Seminar ab zu der Frage, welche Instrumente der zunehmenden Finanzialisierung im Wohnungswesen entgegengestellt werden könnten. Die diskutierten Lösungsansätze orientierten sich am kürzlich erschienenen Housing2030 – Bericht, in dem auch mehrfach auf die österreichischen Wohnungsgemeinnützigkeit verwiesen wird.

Explizit am Prinzip der Kostenmiete interessiert waren die Teilnehmer des Seminars „Cost rental: a new approach from Ireland“. In Irland wurde erst 2020 ein neues Segment des „leistbaren Wohnbaus“ mit Kostenmietkalkulation eingeführt. Dieses Angebot soll die Lücke zwischen dem sozialen Wohnbau, der in Irland sehr klein ist und nur den untersten Einkommensgruppen offensteht, und dem freien Wohnungsmarkt, der für immer größere Bevölkerungsgruppen nicht mehr leistbar ist, schließen. Nach einem Bericht über erste Erfahrungen mit diesem Wohnbauprogramm leitete Dara Turnbull (Housing Europe) eine Podiumsdiskussion mit der irischen Vertreterin sowie den Vertreterinnen der Wohnungsverbände aus Dänemark (BL), Finnland (KOVA) und Österreich (GBV), die über eine lange Erfahrung mit Kostenmietmodellen verfügen. Die Systeme dieser drei Länder werden auch in der lesenswerten Housing-Europe Studie zu Kostenmietsystemen in Europa vorgestellt und verglichen. 

Finnland und die Stadt Helsinki sind bekannt für ihre erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit, welche annähernd zur Beendigung von Obdachlosigkeit geführt hat. Kern dieser Strategie ist das Housing-First-Prinzip, nach dem Wohnungslose von Beginn an eine eigene Wohnung mit eigenem Schlüssel und Mietvertrag erhalten, und parallel dazu, aber organisatorisch getrennt, eine sozialarbeiterische Begleitung nach Bedarf. Beim ISHF gab es mehrere Veranstaltungen zum Thema Housing First; im Rahmen einer Exkursion konnte auch eine Housing-First-Wohnung besichtigt und mit Bewohnern, die einst wohnungslos waren, gesprochen werden. 

Weitere Exkursionen zu Stadtentwicklungsgebieten gaben einen guten Überblick über das Zusammenspiel von Stadtplanung und Wohnbau in Helsinki.

Responsible Housing Award an BAWO und GBV für die Initiative „Zuhause ankommen“
Ein besonderer Höhepunkt des ISHF war die Preisverleihung der „European Responsible Housing Awards“ am Abend des 16. Juni. Der Preis wurde von DELPHIS, IUT (International union of tenants) und Housing Europe ausgelobt. 70 Projekte aus 20 Ländern wurden eingereicht, 23 davon als Finalisten ausgewählt. Trotz großer inhaltlicher Breite teilten die Finalistenprojekte als Leitmotiv die Stärkung der Lebensqualität, Wohnsicherheit sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Bewohner. Bei der Preisverleihung wurden die Sieger in fünf Kategorien bekanntgegeben und geehrt. 

Das österreichische Projekt „zuhause ankommen“, das von der BAWO (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe) und dem GBV gemeinsam eingereicht wurde, wurde dabei als Sieger der Kategorie „Going the extra mile in extraordinary circumstances“, für innovative Lösungsansätze in Reaktion auf die Corona-Pandemie, ausgezeichnet. „Zuhause ankommen“ ist eine strategische Kooperation zwischen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft und der Wohnungslosenhilfe. Mit Unterstützung durch das Sozialministerium werden leistbare Wohnungen nach dem Housing First Prinzip an Menschen vermittelt, denen in Folge der Pandemie die Delogierung droht oder die bereits ihre Wohnung verloren haben. Der Jury gefiel besonders die Vernetzung zahlreicher Akteure, die Erleichterung des Zugangs zum gemeinnützigen Wohnbau (Übernahme Finanzierungsbeiträge), die soziale Begleitung und Einbeziehung der zukünftigen Bewohner/innen sowie der sorgsame „Matching-Prozess“ von Personen mit für sie passende, leistbare Wohnungen.

Mit großer Freude durften Gerlinde Gutheil (GBV) und Alexander Machatschke (BAWO) den Preis entgegennehmen – stellvertretend für das Projektteam, die 12 beteiligten Sozialorganisationen und die 50 gemeinnützigen Bauvereinigungen, die bereits eine oder mehrere Wohnungen im Rahmen dieses Projekts für Betroffene zur Verfügung gestellt haben. Ihnen sei an dieser Stelle ein herzlicher Dank für ihr Engagement und Gratulation zu dem Preis ausgesprochen!

Housing Europe Generalversammlung und Abschlussveranstaltung
Am letzten Tag des Festivals fand die Generalversammlung von Housing Europe, dem europäischen Dachverband der öffentlichen, gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen Europas statt. Christian Krainer (ÖWG/GBV) berichtete dort über die Tätigkeit der Arbeitsgruppe „Housing Observatory“ im vergangenen Arbeitsjahr. In einem Positionspapier zeigten sich die Mitglieder von Housing Europe solidarisch mit den Menschen in der Ukraine und sprachen sich für eine aktive Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes aus.

Das ISHF fand einen würdigen Ausklang mit einer Zeremonie im Rathaus, an der Hanna Sarkinnen, Finnlands Gesundheits- und Sozialministerin, eine Abschluss Key-Note hielt. Die ISHF-„Staffel“ wurde von Helsinki an Barcelona übergeben, wo bereits im März 2023 das nächste International Social Housing Festival stattfinden wird.   

Links:
https://socialhousingfestival.eu/

Handbuch „European Responsible Housing Awards“ 2022 (englisch) https://www.responsiblehousing.eu/_files/ugd/8ac5c3_2e3d4168a7eb441c84a934ce7548ad39.pdf  Die Initiative „zuhause ankommen“ ist auf S. 56 – 57 beschrieben.

Siegervideo Initiative „zuhause ankommen“: https://youtu.be/j6WDR-C2GVA

Presseaussendung des Sozialministeriums: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220617_OTS0014/sozialminister-rauch-gratuliert-bawo-zum-european-responsible-housing-award

Bericht über ISHF von Housing Europe: https://www.housingeurope.eu/resource-1710/international-social-housing-festival-2022-report (Download „ISHF2022 Final Report“ am Ende der Seite){cwgallery}