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Der Mehrwert der Mischnutzung

Auf Einladung der EGW und des GBV-Verbands fand Ende Februar ein runder Tisch (online) zum Thema „Mehrwert Mischnutzung“ statt. Moderiert von Gerlinde Gutheil (Verband) und Julian Junker (EGW), tauschten sich fünf Vortragende und rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber aus, wie der gemeinnützige Wohnbau die Entwicklung gemischt genutzter Stadtteile unterstützen könne. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse.

Die Ausgangssituation
Der gemeinnützige Wohnbau nimmt seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle in der Bereitstellung leistbaren, qualitätsvollen Wohnraums ein. Zu dieser Aufgabe sind vor allem in den letzten Jahren die über das Objekt hinausgehenden Aspekte der Quartiersentwicklung in Neubaugebieten immer bedeutender geworden. Neben bauplatzübergreifenden Gemeinschaftsräumen und der Einbindung der Nutzerinnen und Nutzern in Partizipationsprojekten trägt vor allem die Integration von Gewerbeflächen maßgeblich zu lebendigen und lebenswerten Stadtquartieren bei. 

Die Mischnutzung stellt dabei eine Herausforderung für die gemeinnützige Wohnungswirtschaft dar, welche in engen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen agiert. In der Veranstaltung wurden zahlreiche Möglichkeiten für die Umsetzung von urbaner Mischnutzung aufgezeigt und anhand von Praxisbeispielen Anreize für Folgeprojekte gegeben. Die Genossenschaft „die Hauswirtschaft“ gab mit ihrem experimentellen Bauvorhaben im Wiener Nordbahnviertel den Anstoß für das F&E-Projekt OPENhauswirtschaft, welches auch den Rahmen für die Veranstaltung bildete. In dem Bauprojekt konnte auf vielen Ebenen in Zusammenarbeit mit Planern, Magistratsabteilungen und dem gemeinnützigen Bauträger EGW Spielräume aufgezeigt und ein gemischtgenutztes Objekt mit Raum für Kleingewerbetreibende geschaffen werden. 

Die Vorträge

MEHRWERT MISCHNUTZUNG
Dr. Bernd Rießland, Obmann des Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen 

Bernd Rießland ist nicht nur in seiner Funktion als GBV-Verbandsobmann, sondern auch aufgrund seiner früheren Tätigkeiten (Immobilienfinanzierung, Entwicklung der Seestadt Aspern, Vorstand Sozialbau AG) von verschiedenen Blickwinkeln aus mit den Themen Mehrwert/Risiko einerseits und mit Nutzungsmischung anderseits vertraut. In seinem Kurzvortrag spannt er einen Bogen von der Geschichte des Städtebaus (von der Transformation einer „funktionsgetrennten“, autogerechten Stadt nach der Charta von Athen zur nachhaltigen, gemischt genutzten Siedlung) zu Geschichte und den aktuellen Aufgaben der GBVs: Gemeinnützige Bauvereinigungen sind zwar in der Epoche der funktionsgetrennten Stadt groß geworden und hätten sich lange Zeit auch weitgehend auf die Monofunktion Wohnen (plus unmittelbar verwandte Funktionen) beschränkt. Nun sei es jedoch an der Zeit, neue Wege der Siedlungsentwicklung mitzugestalten: Wohnen macht erfahrungsgemäß 70% bis 80% des Flächenbedarfs eines ökonomisch und sozial funktionierenden Siedlungsraumes aus. Dies passt auch mit der Geschäftskreis-Definition gemäß WGG zusammen, wonach GBVs bis zu einem Drittel der Gesamtnutzfläche eines Gebäudes für Geschäftsräume vorsehen dürfen. Gemischte Strukturen sind komplex, sie verlangen ein Denken und Handeln in Kooperationen und nicht in Konkurrenz. Sie werden als attraktiv und damit als wertvoll/werthaltig eingestuft. GBVs haben die Chance, durch die kooperative Mitentwicklung gemischt genutzter Stadtteile nicht nur Mehrwert für ihre Bewohnerinnen und Bewohner zu schaffen, sondern auch den Wert ihres Immobilienportfolios zu steigern und darüber hinaus dem „Geist des Gründungsauftrags“, nämlich dem Dienst an der Gemeinschaft bestmöglich zu entsprechen.

RAHMEN SETZEN 
Dr. Andreas Sommer, Of Counsel bei Weinrauch Rechtsanwälte, zuvor Leiter der Abteilung „Wohnungs- und Siedlungspolitik“ im BM für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort

In seinen Vortrag legt Dr. Sommer klar, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) gemeinnützige Bauvereinigungen jedenfalls nicht daran hindern, eine städtebauliche Mischnutzung zu realisieren.

Sein Verständnis von „Mischnutzung“ ist breit gefasst und umfasst folgende Bereiche:

  1. Mischung der Bau- und Rechtsformen
  2. Mischung der Funktionen Wohnen, gewerbliche Nutzungen, Freizeitnutzungen
  3. Gemischte Errichter, Kooperationen zwischen gemeinnützigen und gewerblichen Bauträgern
  4. Ankauf eines Bestandsobjekts und „Einpendeln“ in das WGG
  5. Nachverdichtung und Reconstructing
  6. Mitbestimmung der Mieter
  7. Soziale und „ethnische“ Mischung
  8. Generationenausgleich, demografische Mischung

FLÄCHEN MANAGEN– Quartiersbezogenes und bauplatzübergreifendes Flächenmanagement 
Mag. Mario Pailer, Geschäftsführer der Nordbahnviertel Service GmbH (NBV) 

Mario Pailer geht in seiner Präsentation auf die Aufgaben eines übergreifenden Flächenmanagements ein. In seiner Rolle als Geschäftsführer der Nordbahnviertel Service GmbH ist er in der Praxis mit der Umsetzung und der Etablierung der gemanagten Erdgeschoßzone im Nordbahnviertel befasst. Die NBV mietet und verwaltet die Erdgeschoßflächen im Nordbahnviertel und befasst sich mit dem Quartiersmanagement. Der Prozess von Standortanalyse, -marketing, Programmierung, Nutzungsmix, Technische Planung und Mietermanagement wird kurz skizziert und die wesentlichen Kernpunkte erläutert.

FLEXIBEL BLEIBEN- Flexible und nutzungsoffene Raumlösungen: Wunsch und Wirklichkeit
DI Katharina Kothmiller-Chorherr, Geschäftsführerin des Architekturbüros nonconform zt gmbh

In dem Beitrag von Katharina Kothmiller-Chorherr wird das Themenfeld aus architektonischer Perspektive beleuchtet. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die zahlreichen Entwicklungen auf die Lebensdauer eines Gebäudes zu Baubeginn nicht absehbar sind. Während die Universität Wien diesen Anpassungsprozess überstehen konnte, bot der alte Standort der WU Wien bereits nach 30 Jahren keine adäquaten Raumlösungen. Umgelegt auf den Wohnbau werden offene Strukturen und ihre vielfältige Anwendbarkeit präsentiert und Lösungsansätze aufgezeigt. Die Bedeutung des Prozesses, der Partizipation und der offenen Herangehensweise im Planungsprozess wird unterstrichen. Es braucht die (individuell) richtigen Strukturen, um die notwendigen Transformationsprozesse über die Lebensdauer eines Gebäudes zu ermöglichen.

ZUSAMMEN BRINGEN von Angebot und Nachfrage: Von Einzelhandel über Kleingewerbe bis CoWorkingSpace
Mag. Monika Hohenecker, Senior Expert Cities & Municipalities, Regioplan GmbH

Mit den unterschiedlichen „Füllungen“ einer Stadt und insbesondere der Erdgeschoßzonen hat sich Monika Hohenecker intensiv befasst. Sie ist „Senior Expert Cities & Municipalities” bei Regioplan Consulting und war zuvor bei der Nordbahnviertel Service GmbH für das „Matchen“ von Angebot und Nachfrage im Nordbahnviertel zuständig. Mit dem Zitat “I believe the successful city is like a fabulous party. People stay because they are having a great time” geht Monika Hohenecker in ihrem Vortrag darauf ein, wie öffentliche Räume / Erdgeschoßzonen zu Aufenthaltsorten werden, an denen man gerne länger verweilt. Mit einer Checkliste für leerstehende Flächen lädt sie u.a. ein, nicht auf bestimmte Branchen, sondern auf Betriebstypen und deren Anforderungen zu achten. Abschließend stellt sie 10 Lösungsstrategien vor – von „Kennen Sie Ihre Zielgruppe“ über „Handel ist nicht die einzige Nutzung“ bis zur Notwendigkeit, Atmosphäre zu schaffen und mit allen zusammenzuarbeiten.

Einige Schlaglichter aus der Diskussion

  • Lasse das WGG einen Spielraum bzgl. der Mietgestaltung (z.B. für Geschäftsflächen, Kulturflächen)? Ja, denn für Geschäftsflächen muss kein kostendeckendes, sondern angemessenes Entgelt verlangt werden. Allerdings verlangen das Gleichbehandlungsgebot und die gemeinnützige Vermögensbindung, dass gemeinnütziges Vermögen „nicht verschleudert“ werde. 
  • Ad Wohnbauförderung: oftmals erschwere die Wohnbauförderung die Umsetzung von gemischt genutzten Quartieren, da diese (Bsp. Salzburg) bereits auf Ebene des Gesetzes Geschäftsflächen ausschließe. Dies sei jedoch stark vom Bundesland und der konkreten Zusicherung abhängig. In Wien können Geschäftsflächen sehr wohl gefördert werden und Mischnutzungen sind oft sogar Rahmenbedingung des Wettbewerbs. Für Salzburg und andere Bundesländer müsste geprüft werden, ob das Gesetz tatsächlich die Förderung von Geschäftsflächen ausschließe oder lediglich die Förderpraxis dies nicht einschließe.
  • Ad Nutzungsoffenheit: Je offener die baulichen Strukturen, desto eher funktioniert eine Umnutzung nach vielen Jahren, auch wenn wir jetzt noch nicht wissen, wofür wir dann die Flächen brauchen werden. Umbauten werden trotzdem nötig sein, aber bei guter Planung nicht in substanzverändernder Tiefe. Nutzungsoffenheit als sinnvolle Ergänzung zur Nutzungsmischung.

Abschlussstatements und Ausblick
Die Abschlussfragen lauteten: Was hat Sie heute überrascht? Wenn Sie einen Wunsch an die Politik, eine der hier vertretenen Institutionen oder auch die berühmte „gute Fee“ frei hätten: Was sollte sich ändern, damit die Entwicklung lebendiger, gemischt genutzter Stadtteile leichter möglich wird?

Rießland: Dass der Wunsch nach gemischt genutzten Stadtteilen immer breiter getragen wird. An der Resonanz zur Veranstaltung sieht man aber: Wir gehen in die richtige Richtung – es ist „Thema“ geworden, das ist Grund zur Freude. Das Interesse nun auch mit Gestaltungsmut verknüpfen! Wir haben es probiert, es war nicht immer einfach, aber es lohnt sich. Man nimmt für die gesamte Projektentwicklung viel mit.

Sommer: Positiv überrascht hat mich die Professionalität der Praktiker. Mit den Gemeinnützigen suchen diese sich die richtigen Partner für die Umsetzung komplexer Stadtentwicklungsprojekte

Pailer: Mein Wunsch an die öffentliche Hand: Noch mehr Flexibilität im Einzelfall – anlassbezogen

Kothmiller-Chorherr: Es ist eine große Dringlichkeit, auch hinsichtlich der Klimakrise, Strukturen umzusetzen, die wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen können. Wir können nicht mehr so wie bisher mit den Ressourcen umgehen. Ich bin guter Dinge, dass es dafür genug Werkzeuge gibt, sowohl Hardware, als auch Software. 

Hohenecker: Mein Wunsch an die gute Fee bzw. die Bundesebene: Ein bisschen weniger lokaler und regionaler Fleckerlteppich, sondern auch Förderungen und Regelungen auf Bundesebene vorsehen, z.B. in Anlehnung an die Förderungen für Stadtlabore in Deutschland 

Veranstaltungsresümee 
Das große Interesse und die rege Teilnahme an der Diskussion sprechen für die Bedeutung des Themas Mischnutzung in der Praxis. Es wurde aufgezeigt, dass die vorhandenen Herausforderungen mit unterschiedlichsten Ansätzen gemeistert werden können. Wesentlich ist die Bereitschaft zur Beschreitung neuer Wege sowie zur Aneignung und Weitergabe des bereits aufgebauten Know-hows.

Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald, Julian Junker

Die Foliensätze aller Kurzvorträge sind hier zum Download verfügbar: OHA_Mehrwert-Mischnutzung