Grüne Dachlandschaften
Zu den großen Herausforderungen, von denen europäische Städte gegenwärtig betroffen sind, können demographische, klimatische und strukturelle Veränderungen gezählt werden. Dabei ist ein paralleler Prozess von Wachstum und Rückgang zu beobachten. Während ländliche und strukturschwache Regionen von einer rückläufigen Entwicklung gekennzeichnet sind, nimmt die Dynamik der Verstädterung weiter zu. Hiermit steigt der Versiegelungsgrad in den urbanen Regionen einhergehend mit einer Reduktion von Frei- und Grünflächen. Unbestritten ist jedoch, dass Pflanzen und Grünflächen das urbane Lebensumfeld verbessern, sei es durch Parks, auf Dächern, an Fassaden oder in Pflanzgefäßen. Stadtgrün trägt zur Senkung der Lufttemperatur, Steigerung der Luftfeuchtigkeit, Reduzierung der Luftverschmutzung, Rückhaltung des Regenwassers, Lärmreduktion und Erhöhung der Biodiversität bei. Die Erhöhung des Anteils von städtischem Grün durch gezielte Maßnahmen speziell auch im Wohnumfeld erhöht die Lebensqualität der Bevölkerung und kann zur Bewusstseinsbildung hinsichtlich des notwendigen ökologischen Wandels beitragen.
Science Tower / Fotocredit: Marx
Beim Schutz bestehender Grünflächen spielt die Dichte des Wohnumfeldes eine maßgebliche Rolle. Die Wohnraumverdichtung zur Schaffung ressourceneffizienter Siedlungsstrukturen ist eine sehr sensible Aufgabe. Die Verdichtung von Wohnraum führt zu einer höheren Ereignisdichte, was Nutzungskonflikte verstärkt. Ziel sollte es daher sein, in kompakten Siedlungsstrukturen ausreichend Grün- und Freiräume zur Verfügung zu stellen, welche es unterschiedlichen Nutzer:innengruppen ermöglicht, ihre Bedürfnisse auszuleben, ohne dabei die Interessen anderer zu beeinträchtigen. Neben dieser wichtigen sozialen Funktion von städtischen Grün- und Freiräumen sind deren positive Auswirkungen auf das Stadtklima, sowohl für die Aufenthaltsqualität von Stadtteilen bzw. den dortigen Immobilienwerten als auch für die Lebensqualität und das gesamte Image einer Stadt weitestgehend anerkannt. Zudem sind Grünflächen eine wichtige Grundlage für die psychische, physische und soziale Gesundheit von Stadtbewohner:innen, da sie zu Bewegung, Erlebnis und Begegnung animieren. Dennoch führt innerstädtische Verdichtung zunehmend zur Bebauung bestehender Freiräume, wodurch auch der Nutzungsdruck auf die verbleibenden Parks und Plätze weiter zunimmt. Platzmangel und hohe Bodenpreise erschweren die Erhaltung von Grünflächen und das Schaffen ausgleichender Freiräume. Grün- und Freiflächen werden somit zu einem teuren Standortfaktor, deren Zugang nicht allen gleichermaßen gewährt ist. Gegenwärtig gilt, je höher das Haushaltseinkommen, desto besser ist der Zugang zu Wohnanlagen, die über einen hohen Anteil an privatem und öffentlichem Grün verfügen. Andere müssen sich mit unterversorgten Stadtteilen zufriedengeben.
Sargfabrik / Fotocredit: Wolfgang Zeiner
Der anhaltende Trend zur Versiegelung führt zu einem Verlust der urbanen Vegetation, die durch Verdunstung, Regenwasserrückhalt, Beschattung, Speicherung und Versickerung zahlreiche positive stadtklimatische Effekte aufweist. Die Verlagerung der Vegetation auf die bisher kaum genutzte Dachebene stellt daher eine geeignete Strategie dar, um die negativen Auswirkungen der Versiegelung zu mildern. Generell sind gebäudegebundene Begrünungsformen in dichten Siedlungsgebieten eine interessante Erweiterung zu Grünflächen in der Erdgeschoßzone, da sie zusätzliche Nutzungsweisen ermöglichen, welche die zunehmende Flächenversieglung und Flächenkonkurrenz abmildern. Neue Konzepte zur urbanen Landwirtschaft mit innovativen Bauwerksbegrünungen spielen weltweit eine immer größere Rolle. Unter den vielfältigen teilweise geschlossenen Ausführungsarten gibt es auch aufwändige offene agrarische Dachflächengestaltungen, die zusätzlich positive Effekte auf das Stadtklima haben. Neben den ökologischen und ökonomischen Überlegungen werden bei aktuellen Umsetzungen im Wohnbau vor allem soziale Funktionen berücksichtigt. Im direkten Wohnumfeld sind Dach- und Gemeinschaftsgärten wichtige Orte der Begegnung und Integration. Sie haben eine große Anziehungskraft auf alle Altersgruppen und die gemeinsame Beschäftigung mit gärtnerischen Aktivitäten begünstigt das gegenseitige Kennenlernen. Dies fördert die Identifikation der Bewohner:innen mit ihrem Wohnumfeld, wodurch nachbarschaftliche Solidarität gestärkt, gesellschaftliche Mitwirkung ausgebaut, sowie Ausgrenzung und Diskriminierung vermieden werden können.
Derzeit kommt es im urbanen Geschoßwohnbau auf Flachdächern vereinzelt zur Anlage extensiver Dachbegrünungen, während sich Dachgärten meist nur auf wenige Ausnahmen beschränken. Doch gerade die Nutzung von intensiv begrünten Dachflächen kann neben den positiven Auswirkungen auf das Stadtklima und das soziale Gefüge auch zur lokalen Lebensmittelversorgung beitragen und damit die sozial-ökologische Resilienz der Stadt verbessern. Um diese Potenziale besser nutzbar zu machen, bzw. konkrete Umsetzungen zu fördern, ist es notwendig gemeinsame Lern- und Kommunikationsprozesse zwischen den verschiedenen Stakeholdern im Wohnbau zu initiieren. Das Zusammenbringen gegensätzlicher Perspektiven und Handlungsmuster ermöglicht praxisnahes Erfahren, Experimentieren und Reflektieren. Durch diesen transformativen Dialog ist es möglich Gemeinsamkeiten zu finden und nachhaltige Handlungsänderungen anzustoßen.
Flying Garden Brauquartier / Fotocredit: Hohmann
Um die genannten Potentiale von grünen Dachlandschaften in der täglichen Planungs- und Wohnbaupraxis zu stärken, wurde unter der Leitung des Instituts für Wohnbauforschung in Graz eine Analyse zur Grobabschätzung des Potenzials für Dachgärten im Geschoßwohnbau im Grazer Stadtgebiet erarbeitet. Im Zuge der umfangreichen qualitativen Erhebungen von Frühjahr bis Herbst 2019 wurden mit Akteur:innen aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Verwaltung und Praxis gegenwärtige Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zum Thema grüner Dachlandschaften erhoben und ausgewertet. Auf Grundlage dieser Erhebung konnten in weiterer Folge Überlegungen hinsichtlich möglicher Unterstützungsmaßnahmen zur Verstärkung der Begrünung der Grazer Dachlandschaft abgeleitet werden. Auf Basis der Analyse setzte die Veranstaltungsreihe WOHNBAU.DIALOG STEIERMARK im Herbst 2019 einen Themenschwerpunkt und lud Expert:innen und Akteur:innen zu einem interaktiven Workshop-Format zum Austausch und zur weiteren Vernetzung. Hierbei konnten Vorbehalte ausgeräumt, Erfahrungen ausgetauscht und Synergieeffekte ausgelotet werden. Durch die gemeinsame Konzeption von Demonstrationsprojekten sollte in weiterer Folge das Erfahren, Erproben und Reflektieren mit innovativen Dachbegrünungen weiter angeregt werden. Gegenwärtig werden seitens des Instituts für Wohnbauforschung vier potenzielle Grazer Pilotprojekte, worunter sich drei gemeinnützige Bauträger befinden, betreut. Das Ziel dieser Pilotprojektbegleitung ist es, herauszufinden wie gut sich Dachgärten am Bestand im Grazer Geschoßwohnbau umsetzen lassen. Neben den Herausforderungen wie z.B.: Statik oder Zugänglichkeit, die im Neubau sehr einfach berücksichtigt werden können, ist hier auch die Einbindung der Bewohnerschaft ein zentraler Aspekt. Gegenwärtig befinden sich die vier Projekte in unterschiedlichen Entwicklungsstadien hin zu den anvisierten grünen Dachlandschaften.
Dachgärten: Schaubild
Link zum Endbericht der Studie Grazer Dachgärten:
www.institut-wohnbauforschung.at/rooftop-gardening/
AutorInnen: Andrea Jany, Thomas Höflehner, Bernhard Hohmann
Teile dieses Beitrags sind bereits in anderer Form hier erschienen:
Hohmann, B.; Höflehner, T.; Jany, A. (2020): Dachgärten im Geschosswohnbau. In: sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung, Band 8, Heft 1/2, S. 9-15. Online auffindbar unter: https://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/569