Österreich vs. Deutschland: Ein wohnungswirtschaftlicher Wettkampf in vier Sätzen
1. Sozialer Wohnbau und öffentliche Förderung für das Wohnungswesen
In beiden Ländern ist das Thema „leistbares Wohnen“ ein öffentlicher Dauerbrenner. Die Süddeutsche Zeitung hat das Wohnen unlängst zur „entscheidenden sozialen Frage“ ernannt, eine aktuelle Caritas-Studie zeigt auf, dass sich 84 Prozent der Deutschen mehr sozialen Wohnungsbau wünschen. Schließlich ist das Thema auch prominent in die deutschen Koalitionsverhandlungen eingegangen.
Wie spiegelt sich jedoch das wohnungspolitische Engagement des Staates in den Ausgaben für das Wohnungswesen und in der Zahl öffentlicher / gemeinnütziger Wohnungen wider?
*Quelle: Housing Europe (2015)
*Quelle: Eurostat (2015)
**Quelle: Eurostat (2015/2016)
***Quelle: Eigene Berechnungen GBV. Ö: Wohnbauförderungsdarlehen der Länder (Neubau, 2016). D: KfW-Darlehen Energieeffizientes Bauen (2015/16)
Der auffälligste Unterschied zwischen Deutschland und Österreich ist der ungleich hohe Anteil an öffentlichen bzw. gemeinnützigen Wohnungen: Weniger als vier Prozent der deutschen, aber fast 21% der österreichischen Wohnungen gehören einem öffentlichen oder gemeinnützigen Eigentümer und sind daher dem „Sozialwohnungssektor“ im weiteren Sinn zuzurechnen.
Die öffentlichen Ausgaben für das Wohnungswesen sind in Österreich jedoch nicht höher als in Deutschland: Zwar gibt, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, Österreich mehr für gebäudebezogene Zuschüsse (Objektförderung) aus, deutlich weniger hingegen für wohnbezogene Beihilfen an private Haushalte. Indirekte steuerliche Förderungen und allgemeine Sozialtransfers (Mindestsicherung u.ä.…) sind jeweils nicht berücksichtigt.
Zusätzlich zu den Zuschüssen werden in beiden Ländern Förderdarlehen für den Wohnbau vergeben: In Österreich sind es die Wohnbauförderungsdarlehen der Länder, in Deutschland die KfW-Darlehen für energieeffizientes Bauen. Ihr Gesamtvolumen beträgt jeweils etwa 0,3% des Bruttoinlandsprodukts; in diesem Punkt liegen die Länder gleich auf.
Stark vereinfacht könnte man also sagen: Bei geringeren staatlichen Ausgaben als Deutschland hat Österreich einen höheren Bestand an sozial gebundenen Wohnungen. Der Satz geht an Österreich.
2. Bauleistung
Wie viele Wohnungen werden aktuell pro 1.000 Einwohner gebaut?
*Quelle: Housing Europe (2010-2015)
**Quelle: Housing Europe (2015)
Schon in einem früheren Artikel wurde auf die niedrige Bauleistung Deutschlands im Vergleich zu Österreich hingewiesen. Im öffentlichen/gemeinnützigen Sektor ist der Unterschied noch größer als insgesamt: Pro 1.000 Einwohner/innen werden in Österreich pro Jahr mehr als zwei Sozialmietwohnungen errichtet, in Deutschland nur eine halbe.
Seit der Aufhebung des deutschen Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes 1989 gibt es in Deutschland keine dem österreichischen WGG vergleichbaren gesetzlichen Grundsätze zur Vermögensbindung, zur Kostenmiete und zur Baupflicht für gemeinnützige Wohnungsunternehmen. Insbesondere letztere scheint eine Mitursache dafür zu sein, weshalb in Österreich in Relation zur Einwohnerzahl deutlich mehr sozialer Wohnraum gebaut wird als in Deutschland.
2:0 für Österreich.
3. Höhe der Mieten
Wie viel Miete zahlt man im Durchschnitt für ein Quadratmeter Wohnfläche?
*Quelle: Ö: Statistik Austria, Mikrozensus (2016). D: Dt. Bundestag: Wohngeld- und Mietenbericht (2016)
**Quelle: Verschiedene Online-Immobilienplattformen (2017-2018)
Der Mietwohnungsmarkt Deutschlands ist groß und regional sehr stark differenziert. Deutschland hat im EU-Vergleich die höchste Mietquote. 55% der deutschen, aber nur ca. 43% der österreichischen Haushalte mieten ihren Hauptwohnsitz.
Beim Vergleich der Landes-Durchschnittsmiete (und im Durchschnitt aller Segmente sowie Bau- bzw. Mietvertragsalter) ist Deutschland um 20 Cent pro m2 günstiger als Österreich, das aufgrund der starken Bautätigkeit der letzten Jahrzehnte jedoch den jüngeren Wohnungsbestand hat. Neue Mietverträge in der Hauptstadt Berlin werden im Schnitt um 90 Cent billiger als in Wien angeboten. Die preislichen Hot-Spots sind jedoch in beiden Ländern nicht die Hauptstädte. Als teuerste Stadt Deutschlands gilt München, wo Durchschnitts-Mietangebote auf Online-Plattformen aktuell mit bis zu 21,2 €/m2 ausgewiesen werden (immowelt.de). Die in Bezug auf Mieten teuerste Landeshauptstadt Österreichs ist Innsbruck – hier werden Durchschnittsmieten für Neubezüge bis 16,6 €/m2 publiziert (immopreise.at). Allerdings sind dies nicht repräsentative Erhebungen von Angebotspreisen, die von tatsächlich abgeschlossenen Mietverträgen abweichen können und das obere Marktpreissegment ohne GBV-Wohnungen darstellen.
Aus Sicht der Mieter geht der Wertungspunkt Mietpreisvergleich an Deutschland, zumindest solange man die teuersten Städte außer Acht lässt. Zwischenstand 2:1 für Österreich.
4. Wohnkostenüberbelastung
Wie viele Haushalte müssen mehr als 40% ihres Einkommens für Wohnkosten (inkl. Energie) aufwenden und gelten daher nach der EU-Definition als wohnkostenüberbelastet?
*Quelle: EU-SILC (EU-Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen) (2016)
Hier zeigt sich, dass Österreich in allen Segmenten einen geringeren Anteil überbelasteter Haushalte hat als Deutschland. Mehr als 40% des Einkommens nur für Wohnen und Energie aufwenden zu müssen, bedeutet, gerade bei niedrigen Einkommen, massive Einschränkungen beim Bestreiten des sonstigen Lebensunterhalts.
Trotz – im Landesdurchschnitt – höherer Mieten in Österreich ist der Anteil überbelasteter Haushalte in Deutschland höher als in Österreich. Dies liegt zum einen an den etwas höheren österreichischen Durchschnittseinkommen (EU-SILC gibt das äquivalisierte Median-Jahreseinkommen 2016 für Österreich mit 23.700 Euro, für Deutschland mit 21.300 Euro an), zum anderen vermutlich aber an der räumlichen Verteilung: Die wohnkostenüberbelasteten Haushalte wohnen zu einem guten Teil in Städten, die ein hohes Miet- und Einkommensniveau haben. Nicht jeder Haushalt verdient jedoch in diesen Städten überdurchschnittlich, und da die deutschen Städte wesentlich geringere Anteile an geförderten Wohnungen haben, müssen sich auch einkommensschwächere Haushalte am privaten Markt versorgen.
Mit diesem Punkt steht es nun 3:1 für Österreich – Endstand.
Vor enthusiastischem Siegesjubel sei jedoch gewarnt: Die Ergebnisse werden nicht nur durch sportlich/politischen Einsatz, sondern auch durch unterschiedliche räumliche, wirtschaftliche und erhebungstechnische Rahmenbedingungen beeinflusst. Außerdem ist nirgends festgehalten, dass das Match nach drei gewonnenen Sätzen beendet ist. Potenzielle weitere Spielsätze mit zusätzlichen Bewertungspunkten könnten das Ergebnis womöglich noch einmal drehen.
Dipl.-Ing. Dr. Gerlinde Gutheil-Knopp-Kirchwald